von Vitense Parber
Klaus Zumwinkel kommt in Liechtenstein an den Bankschalter und sagt, er möchte ein Konto eröffnen. Wieviel er denn einzahlen möchte, fragt der Beamte, und Zumwinkel murmelt etwas von einer Million. ›Sie können ruhig lauter reden‹, sagt da der Beamte, ›Armut schändet nicht.‹«
Soweit der Humor einer Gazette für die gehobene und gesellschaftsfähige Asozialität, also der Frankfurter Allgemeinen. Natürlich war Klaus Zumwinkel ein armer Teufel: Schließlich mußte der Mann sich als angestellter Manager durchs Leben schlagen. Vor einiger Zeit hatte er wohl ein paar Millionen geerbt, aber so wenige, daß er selbst dann noch hatte weiterarbeiten und weiter steuerbetrügen müssen. Es gibt in Deutschland viel mehr Leid, als gemeinhin angenommen wird.
Nach Zumwinkels Enttarnung durch den Bundesnachrichtendienst – das ist eine Art Hauptverwaltung Aufklärung der Bundesrepublik Deutschland – ging ein Ruck durchs Land. Denn Auslandsgeheimdienst, Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei und Finanzministerium – laut einer Grundgesetz genannten Mär alles scharf voneinander getrennte Bereiche – hatten wie in totalitären Diktaturen gemeinsam geruckt. Und alle ruckten mit, die Bild-»Zeitung« wie immer vornweg.
Nie wieder ein Reichssicherheitshauptamt, nicht einmal ein informelles, hatten sich einst die Mütter und Väter des Grundgesetzes geschworen. Vergessen, verweht – schon seit Jahrzehnten.
Gott, was muß sich der Staat heute nicht alles einfallen lassen, um auf seinem Weg zur Aushöhlung der individuellen Menschenrechte weiter voranzukommen. Was für ein Kinderspiel, um nicht zu sagen: was für ein reines Vergnügen war es dagegen vor dreißig Jahren gewesen? Viele Menschen ab Mitte vierzig aufwärts beseelte zwar damals nicht unbedingt ein Bedürfnis nach rhythmischem Beifall bei ihrer Selbstentmündigung. Aber die Terroristenhatz der siebziger Jahre machte ihnen wenigstens die Gesellschaft wieder etwas vertrauter. Schließlich hatten sie ihre Kindheit und Jugend – zumeist unverschuldet – unter dem Ausnahmerecht des Nationalsozialismus zugebracht. Das hatte sie geprägt: »Unter dem Führer herrschte nun einmal Ordnung.« Gemeinschaftsfremde wurden konsequent isoliert. (Ja, sicher, es waren auch ein paar Juden dabei; wie man dem Krieg erfuhr, gehörte sich das nicht.)
Zwanzig Jahre lang war alles gut gegangen – sieht man einmal vom verlorenen Krieg ab. Doch in den sechziger Jahren hatten ihnen ausgerechnet die eigenen Kinder diese Kindheit und Jugend vorgeworfen. Das war hart. Erst der Terror der RAF ermöglichte das Rückspiel: Die große Koalition zwischen dieser Elterngeneration der 68er und den Notstandsgesetzzustimmern vom 30. Mai 1968 demolierte in den siebziger Jahren in großer Eintracht den Rechtsstaat.
Genau zum rechten Zeitpunkt war in der ersten Hälfte der Siebziger mit der RAF das richtige Substitut aufgetaucht. Denn im Zuge der Entspannung des Kalten Krieges war die angststabilisierende »Soffwetzone« über die Stationen »Mitteldeutschland«, »sogenannte DDR«, »DDR« zur DDR abgerüstet worden. Der Gesellschaft der Bundesrepublik drohte ernsthaft, das systemtragende Feindbild abhanden zu kommen. Auch wenn es seit Wolfgang Schäuble unglaubhafter denn je klingt: RAF-Erfinder Andreas Baader erfand sich tatsächlich selbst, ehe beim Verfassungsschutz auch nur der Gedanke hatte gedacht werden können, einen Andreas Baader zu erfinden. Auf die Genossen der RAF war eben noch Verlaß gewesen. So glückliche Zeiten waren das damals.
Es hat lange gedauert, bis Wolfgang Schäuble die Zeichen der heutigen Zeit verstanden hat. Ob Bundeswehr im Innern, ob Panzer wie am 28. Oktober 1948 in der Stuttgarter Innenstadt, ob Wiedereinführung des Großen Lauschangriffs, ob Abschuß von vollbesetzten Zivilflugzeugen, ob Online-Untersuchungen – stets plärrt die Öffentlichkeit dazwischen. Die Nazi-Mitläufergenerationen liegen halt weitgehend auf dem Friedhof. Von denen ist Hilfe nicht mehr zu erwarten. Wie soll man da den Rechtsstaat weiter demolieren? Der Leutnant der Wehrmacht Helmut Schmidt hatte es da einfacher. Er bewegte sich noch unter Seinesgleichen.
Heute hilft nur noch eines: eine zustimmungsfähige Aktion. Manchmal muß man Opfer bringen. Warum nicht Zumwinkel? Der hatte sich im Dezember vorigen Jahres mit seinen Aktionverkäufen nach dem Mindestlohnbeschluß ohnehin dümmlich aus dem Fenster gelehnt. Und er geht am Jahresende eh in Pension, ist also nur noch eine lahme Ente.
Am Tag danach greinte Generalbundesanwältin Monika Harms etwas geistesabwesend: »Das Wirtschaftsstrafrecht taugt nichts: Wo Ethik nicht da ist, kann es nicht helfen.« Das Handeln von Unternehmern sei »von Gewinnstreben geprägt, das durch Strafrecht nur geringfügig begrenzt ist«. Der Frau ist schwerlich zu widersprechen.
Daß Strafrecht nur bei Menschen verfängt, deren Handeln nicht von Profitstreben angepeitscht wird, sondern seine letzten Motive in einer ethischen Haltung begründet, zum Beispiel in einer Ethik, die Profitstreben als amoralisch ablehnt, ist Monika Harms schon seit längerem bekannt. Spätestens seit einem dreiviertel Jahr. Damals, kurz vor dem G8-Gipfel, ließ sie Globalisierungsgegner – die jeglichen Fehlens von Profitstreben ebenso überführt sind wie einer Verhetzung durch eine ausbeutungsfeindliche Ethik – so sehr mit Justizterror überziehen, daß es selbst dem Bundesverfassungsgericht zuviel wurde.
Die Justizgeschichte der kapitalistisch dominierten Gesellschaft muß völlig neu geschrieben werden. Denn durch Monika Harms’ Feststellung ist der tiefste Grund aufgedeckt, warum Strafverfolgung nur gegen die Linke Spaß macht: Bei der bringt sie wenigstens etwas, während bei Profitstreblern Hopfen und Malz verloren sind.
Möglicherweise verfügt Monika Harms schon länger über ihr Wissen und hat wie viele der heutigen deutschen Neocons – von Götz Aly über Otto Schily bis Manfred Wilke – einst auf dem anderen Ufer angefangen: »Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.« So P. J. Dunning, der von Marx im Kapital zitiert und dadurch unsterblich wurde. Was Monika Harms hier salmodierte, ist nichts anderes als gering verdünnter Dunning respektive Marx.
Das Dilemma ist: Auf der Terroristenschiene ist bei der Zerstörung des Rechtsstaates zur Zeit kein Blumentopf zu gewinnen, deshalb wurde auf die Sozialneidsschiene umgestiegen. Auf der flutscht es immer. Mit Zumwinkel und ein paar wohlhabenden Mittelständlern sowie Prominenten läßt sich doch wunderbar so etwas wie soziale Gerechtigkeit simulieren. Die wirklich Reichen und Einflußreichen in diesem Land werden damit nicht belästigt, denn dank Aktiensteuerrecht, abgeschlaffter Vermögenssteuer et cetera sind sie von Steuerhinterziehung quasi freigestellt. Selbst wenn sie wollten, kämen sie mangels Gelegenheit kaum dazu, Steuern zu hinterziehen. Abgaben zahlen sie allenfalls für ihre Offroader – und für so ein Gefährt wird es selbst noch bei Klaus Zumwinkel reichen.
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