von Angelika Leitzke
Gemäß der seit 1999 geltenden gesetzlichen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches V (Paragraph 95 Absatz 7) sind Ärzte, die das 68. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht mehr befugt, Kassenpatienten auf Versicherungskarte zu behandeln. Diese Regelung, die angeblich nicht gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstößt, soll dazu dienen, die Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr leistungsfähigen Ärzten ausgehen könnten, einzudämmen. Gemeint sind damit wohl Personen mit beginnender Alzheimer-Krankheit, schweren Bandscheibenschäden oder einer psychopathischen Neigung zur Sterbehilfe. Eine Verlängerung der Kassenzulassung über das 68. Lebensjahr hinaus wird maßgeblich von einer regionalen Unterversorgung abhängig gemacht, die mit der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arztes nichts zu tun hat. Mit anderen Worten: Ein 68jähriger Kassenarzt darf in Bayern als Internist für Kassenpatienten nicht mehr arbeiten, kann dies aber in Mecklenburg-Vorpommern, also in einer bekanntlich medizinisch unterversorgten Gegend, durchaus tun.
Sollte er es schon tatsächlich zu einiger psychischer und physischer Dezibilität gebracht haben, schadet sein Praktizieren höchstens den armen Mecklenburg-Vorpommern-Patienten, die sich in seine Hände begeben, aber die wahrscheinlich für die Erfinder der SGB-Regelungen ohnehin nur Menschen zweiter Klasse sind. Erlauben dem betreffenden Arzt seine finanziellen Verhältnisse einen Umzug nach Norddeutschland nicht, muß er seine Praxis zusperren oder übergibt sie einem Nachfolger. Oder er macht als privatärztlicher Rentier weiter, was eine Verkleinerung seines Betriebes nach sich zieht.
Aber – ob nun auf dem Land oder in der Stadt –, den guten alten Hausarzt im Bezirk oder um die Ecke, gibt es auch heute noch. Einer, der Arzt, Menschenfreund und Seelsorger in einer Person und eigentlich nicht ersetzbar ist. Gelobt seien Ärzte vom alten Format, die Herztöne erkennen können, ohne daß sie erst zum EKG greifen müssen.
Für gutverdienende Kassenärzte, die schon mit fünfzig Jahren – aus beruflicher Überlastung oder anderen Gründen – gern in Rente gegangen wären, mag diese 68er-Grenze eine nette Erfindung sein. Ärzte aber, die sich ihrem Beruf mit Leib und Seele verschrieben haben und die auch körperlich wie geistig fit sind, werden von dieser Regelung schwer getroffen, nicht nur finanziell, sondern auch psychisch-moralisch.
Anders sieht es dagegen auf nichtärtzlichen Sektoren aus: Klaus-Dieter Lehmann, der am 29. Februar dieses Jahres 68 Jahre alt wurde, scheidet zwar nun aus seinem Amt als Haupt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, der größten deutschen innenpolitischen Kulturstiftung, aus, darf aber trotz seines Alters als Chef des Goethe-Instituts in dessen Hauptsitz in München weiterwerkeln. Er löst damit die um sechzehn (!) Jahre ältere Jutta Limbach ab.
Nun behandelt Lehmann von berufs wegen zwar keine Schlaganfälle oder Nierenversagen – er hat vor allem das Bibliothekarisieren gelernt. Doch ist immerhin das Goethe-Institut die größte deutsche kulturelle Auslandsvertretung, zuständig für internationale kulturelle Zusammenarbeit. Sie vermittelt laut Homepage auch »ein umfassendes Deutschlandbild durch Information über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben«. Vielleicht sollten sich Lehmanns kleine grauen Zellen nun auch einmal mit der Sache der Ärzte und ihrer altersbedingten Diskriminierung beschäftigen. Möglicherweise wird Lehmann dann alternde Ärzte, die trotzdem weitermachen wollen, nicht nach Mecklenburg-Vorpommern, sondern nach Johannesburg verweisen. Denn 2008 bilden den regionalen Schwerpunkt in der Tätigkeit des Goethe-Instituts neben China oder Indien vor allem die afrikanischen Staaten.
Sollte Lehmann ebenso lange in seinem neuen Amt bleiben wie Frau Limbach, nämlich 14 Jahre, dann hätte er für seine Altersbeschäftigung jedenfalls weitgehend vorgesorgt. Irgendwann um das Jahr 2020 wird er dann von einem gleichaltrigen Privatarzt mit dem Rollstuhl aus seinem Amt gekarrt werden, von einem, der es geschafft hat, die gesetzlichen Restriktionen zu überspringen und sich dadurch fit zu erhalten.
Goethe (1749 bis 1832) leitete das Weimarer Hoftheater 26 Jahre lang. Mit 68 Jahren schied er aus diesem Amt. Freiwillig. Ein kluger Mann.
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