Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. Februar 2008, Heft 4

Koch-Kurs

von Martin Nicklaus

Bahnhofsfernsehen München: sonderbare Allianz, Grieche mit Türken. Zertreten einen Rentner als wollte er ihnen Zypern wegnehmen. Beide Täter werden gefaßt. Telefonierten mit geklautem Handy. Brutal und doof gesellt sich gern. Der brutalstmögliche Lügner Hessens kochte daraus Wahlkampf. Als »Stimme der schweigenden Mehrheit«. Forderte: Ausweisen. Nur, der Grieche, EU-Bürger, ist unausweisbar. Der Türke, in Deutschland geboren, hier sozialisiert. Ein Einheimischer-Ausländer. Wie Al-Wazir, hessischer Grünenchef. Der Mob schreit: »Geh zurück, wo du herkommst.« Er kommt aus Offenbach.

Die Kriminalstatistik in Lügners Land spricht gegen ihn. Verschlechterte sich seit seinem Amtsantritt. Täter zu achtzig Prozent deutsch.  Was stört es den Wahlkämpfer. Hauptsache Fremdenhaß hochkochen lassen. Bloß nicht sachlich werden. Kein Gedanke an seinen Stellenabbau bei Polizei, Justiz und Streetworkern, der Einstellung diverser sozialer Projekte zur Resozialisierung. Schönes Beispiel für Naomi Kleins »Schock-Strategie«. Schaffung oder mindestens Nutzung bedrohlicher Zustände für eigene Zwecke.

Koch würzte nach: Knast für Zwölfjährige, Erziehungscamps, dann Kommunistenhatz. Hirnloses Vorwärtsstreben beim Themensetzen. Hauptsache Bewegung – nach Hannah Arendt ein sicheres Zeichen für Totalitarismus. Knast ab zwölf. Wo gab es denn das zuletzt? Und Erziehungscamps, also Gefangenenlager und Kommunistenhatz? Richtig, bei den Nazis. Für die Politik gilt, anders als in der Küche: Bereits ein Koch verdirbt den Brei. Ungeachtet dessen gewinnt er die Wahl. Aber noch mehr als CDU wählten NICHT. Ist das die schweigende Mehrheit? Koaliert Koch mit denen?

Wahlkampfgedröhn. Inzwischen vergessen. Wichtige Fragen ohnehin. Warum laufen zwei Schläger frei rum? Zigmal vorbestraft, dauernd rückfällig. Wer ließ die frei rumlaufen, verschuldete den versuchten Totschlag? Interessiert niemanden. Dafür existieren Originalbilder von der Tat. Geil, oder? Außer man ist der, der am Boden liegt. »Das ist die Art von Gewalt, die wir sehen wollen, wenn auch nicht spür’n wollen« (Trio).

Sehen tun wir reichlich. Bilderflut. Zeigt selbst, was wir nie sehen wollten. Was Mutter oder Vater nie sehen wollten: den Triebtäter in der Straßenbahn, neben seinem späteren Opfer, ihrem Sohn. Wahrscheinlich haben die Eltern davon ein Riesenposter. Eingebrannt auf der Innenseite ihrer Seele. Wer ließ diesen mehrfachen Wiederholungstäter raus? Wer leistete Beihilfe zu Kindesmißbrauch und Mord? Spielen Stellenabbau, also Mangel an Personal, Zeit, Sorgfalt, Motivation eine Rolle?

Verständlich, schießen die Eltern den Pädophilen übern Haufen. Wie Samuel L. Jackson in »Die Jury«. Besser noch: Zerhacken mit Fleischermessern. Ist irgendwie persönlicher. Tausend Hiebe. Immer nochmal. Bis Schweiß austritt. Trauerarbeit leisten. Aber wir leben in einer zivilisierten Welt, die dem Opfer das Recht zur Rache abspricht. Ein Glück. Außer bei nationalen Fragen. Da darf gebombt werden. Voraussetzung: Gegner muß deutlich unterlegen sein.

Beckmann: »Es bricht Ihnen doch keinen Zacken aus der Krone, zu sagen: Was da gelaufen ist (im Irak M. N.), ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit!« Angela Merkel darauf: »Nein, das sage ich aber nicht …« Eigentlich haben die Typen auf dem Bahnhof nichts anderes angestellt als USA samt Lakaien mit Irak und Afghanistan. »Immer in die Fresse rein«. (Die Ärzte).

Angela Merkel forderte: »Mehr Freiheit wagen.« Zwei Schläger nehmen sich ihre Freiheit und einem anderen fast das Leben. Willkommen in Merkels Welt.

Natürlich, sie unterstützt Koch. Ein anderer Landesvater ebenso. Vor kurzem adelte der noch einen Nazi. Für die heutige Verrohung fand er den Schuldigen: das »scheiß Privatfernsehen«. Wunderbare Wortwahl. Enorm analytisch. Leider war der Rest Schweigen. Jetzt ginge es aber erst los. Er schimpfte auf RTL, also Bertelsmann, also die von einer Matriarchin geführte Bertelsmann-Stiftung. Und wo steckt dieses sonderbare Steuersparmodel überall seine Tentakel rein? Überall. Machtgier. Einfluß finanziert durch die Abgabenersparnisse. Alle Politikfelder werden beackert. Eine Schattenregierung. Bildung liegt ihr sehr am Herzen. Komisch, bei den Fernsehsendern merkt man davon nichts. Oder eben genau doch: Gebraucht werden emotional unterentwickelte, eindimensionale, oberflächliche, am besten reinweg blöde Menschen. »Sie erlaubten sich keine Meinung und schluckten jede Vorlage.« Heinrich Mann in Der Untertan.

Was aber vergaß der Nazilobredner: Seine Partei führte das Privatfernsehen ein. Sein Parteifreund-Kanzler empfing von einem Medienmogul ein fürstliches Salär. Projektname: »Geistig-moralische Wende«. Die gelang. Der nächste Kanzler entschied zugunsten eines russischen Konzerns. Beendete seine Amtszeit mit einem Akt von Hasard. Der Job beim Konzern begann halt pünktlich. Eine Rente mit Namen. Volkswirtschaftlich und für viele potentielle Rentner ein Desaster. Namensgeber erhielt reichlich Provision von der Finanzwirtschaft.

Ein Innenminister führt biometrische Pässe ein, sitzt hinterher bei den beiden Herstellerfirmen im Aufsichtsrat. Als Superminister der Zeitarbeit den Boden bereitet, später Aufsichtsrat einer Zeitarbeitsfirma. Bereichern sich, aber mißgönnen den Armen die Butter auf dem Brot. Verweigern jede Verantwortung für die Gemeinschaft. Egoismus (Schmuckwort »Eigenverantwortung«) als höchste Tugend. Da stirbt erst Solidarität, dann die Achtung vor dem Nächsten, dann Mitleid, dann Rücksicht und bald ein Mensch.

Verwahrlosung unten harmonisiert mit Verwahrlosung oben. Nur: Der Fisch stinkt vom Kopfe. Heutige Zustände schufen Koch, Merkel, Oettinger, Kohl, Schröder, Riester, Schily, Clement mit anderen.

Alles weitere erläutert Albrecht Müller: »Wenn man jungen Leuten nicht hilft, sich zu integrieren, wenn man ihnen keine berufliche Perspektiven gibt, wenn sie sehen, daß sie kaum eine Chance haben, sich aus einer schlechten Situation heraus zu bewegen, wenn sie sehen, wie die Einkommens- und Vermögensverteilung in unserem Land quasi auseinanderfliegt und sie immer unten bleiben, dann kann man das Ende vom Lied einigermaßen sicher komponieren.« Haben Die Ärzte schon erledigt: »Das Böse siegt immer«.