Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. Februar 2008, Heft 4

Gutes Jahr?

von Vitense Parber

Das Jahr fing gut an: Christlich-demokratische Politiker (nicht zu verwechseln mit christlichen und demokratischen Politikern) hetzten gegen die unerzogene Jugend; die Stichworte lauteten Warnschußarrest und Erziehungscamp. Zwar hätte es die deutsche Leitkultur eigentlich geboten, von Lagern statt von Camps zu sprechen – aber auch die Konzentrationslager der Nazis hatten einmal klein angefangen: als concentration camps der Briten.

Diesmal wurden die Camps nicht groß, denn die Christen und die Demokraten unter den christlich-demokratischen Wählern zeigten sich mäkelig – und ermutigten sogar die Sozialdemokraten unter den Sozialdemokraten zu einer anfallartigen Unterbrechung ihrer historischen Amnesie, einst vom stets im Hier und Jetzt parlierenden Gerhard Schröder verordnet. Sie erinnerten sich, daß nicht nur Kommunisten und Juden im Lager ermordet worden waren.

Warnschußarrest und Erziehungscamp werden voraussichtlich also nur noch ein Mal auftauchen: auf der Liste des Unwortes des Jahres 2008, dort aber keine Chance für einen Platz auf dem Treppchen besitzen. Es gab Jahre, die schlechter anfingen.

36,8 Prozent für Roland Koch sind immer noch viel. Sie sind aber nicht unbedingt auch 36,8 Prozent für ausländerfeindliche Politik. So wie 2006 in Berlin manche Leute die PDS trotz und nicht wegen ihrer neoliberalen Anbiederungspolitik wählten, mag es auch andere Gründe als Ausländerfeindlichkeit geben, CDU zu wählen.

1999 konnte mit Ausländerfeindlichkeit immerhin noch eine rot-grüne Regierung gestürzt werden. Damals gaben jeder zweite CDU-Wähler sowie sechzig Prozent derjenigen, die zur CDU gewechselt waren, ihre als Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft nur mäßig bemäntelte Ausländerfeindlichkeit als das stärkste Wahlmotiv an. Diesmal ging der Fahrstuhl nach unten. Es gab wirklich Jahre, die schlechter begannen.

Allerdings gebe ich zu, daß ich einen bösen Verdacht nicht loswerde. 1999, als die doppelpaßbewehrten Ausländer nur als gesichtslose Phantome durch die Hetzreden des brutalstmöglichen Aufklärers waberten, galten Ausländer als schwach und ungefährlich, also als eine jener Gruppen, auf die in Deutschland immer mal wieder eingeschlagen wird. Damals gehörte kein Mut dazu, ausländerfeindlich zu wählen. Im eben verronnenen Wahlkampf hingegen nahm sich der Kandidat zwei gefährliche Schläger, also zwei Stärkere, vor. Verzichteten Ausländerfeinde diesmal vielleicht auf ein ausländerfeindliches Votum nur, weil sie im Ausländer den Stärkeren erkannt hatten? War es ein Akt der Unterwerfung und nicht der Emanzipation (in diesem Fall von der Ausländerfeindlichkeit)? Das wäre sehr deutsch und ließe höchst Unangenehmes für die Zukunft mutmaßen. Dann hätte dieses Jahr schlimmer als andere angefangen.

Jugendfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit – da ist der Antikommunismus meist nicht weit. Daß Hinzes rote Socken die PDS 1994 wieder in den Bundestag trugen, war Absicht; im Osten sollte die SPD geschwächt werden. Doch im Westen war auf den Antikommunismus stets Verlaß, die Beißreflexe schienen im genetischen Material unlöschbar eingeschrieben. Roland Koch spielte, als Jugendfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit ihn schon unter die vierzig Prozent gedrückt hatten, als letzten Joker die antikommunistische Karte, in Hessen, im wohlhabenden Hessen – und verlor, nicht nur mangels Kommunismus und bis zur Unsichtbarkeit ausgelichteter Kommunistenreihen. Seit dem Untergang 1945 geht in Westdeutschland Antikommunismus nur zusammen mit Wohlfahrtsstaat – ohne ist nicht. Die wichtigste Bastion gegen den Kommunismus war in der alten Bundesrepublik das Reihenhaus samt Eigenheimzulage.

Doch die Herrschenden haben nicht nur ihre Scham wegen ihrer Kollaboration mit den Nazis längst verloren, sondern, schlimmer noch als ein Verbrechen, nämlich ein Fehler: die Axiome ihrer Herrschaft vergessen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten machten die Neoliberalen 5,1 Prozent der hessischen Wahlteilnehmer antikommunismus-unempfänglich. Gott sei Dank muß Konrad Adenauer das nicht mehr erleben.

Der klügere Teil der CDU allerdings hatte schon im vorigen Jahr den Antikommunismus als Auslaufmodell erkannt und übt sich nun in antisozialistischen Ausfällen – Angela Merkel vornweg. Aber wie machen sie es? So linkisch, so uckermärkisch, so tumb. Man möchte weinen. Kurt Tucholsky sagte bei anderer Gelegenheit: Herrschaften, warum engagiert ihr nicht mich! Für 67,50 Mark monatlich und freie Pension mit zweimaligem sonntäglichem Ausgang liefere ich euch […] ein Material, das wenigstens echt ist – ihr kennt sie nicht einmal.

Aber mich fragt ja keiner. Das macht Hoffnung.