Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 24. Dezember 2007, Heft 26

Zeit fürs (Heim-)Carepaket

von Ines Fritz

Zu Weihnachten wird mir manchmal so ostalgisch. Dann denke ich wehmütig daran, wie schön doch Weihnachten damals war. Als man für Mandarinen noch zum delikat marschierte, stundenlang nach Apfelsinen anstand und die Gans vom Dorf holte, als es wie jedes Jahr Drei Haselnüsse für Aschenbrödel im Fernsehen gab und Spuk im Hochhaus, als noch die Weihnachtsgans Auguste vom Vinyl ins WBS70-Wohnzimmer schnatterte und alle sich solidarisch an den Händen hielten und kubanische Kampflieder intonierend auf bessere Zeiten hofften. Oder auf ein Paket aus dem Westen.
Viel hat sich verändert, die Wende, das Essen, die Klamotten und das Ding mit den Westpaketen. Es war einst ein fast festliches Ritual, wenn feierlich der Paketschein aus dem Plattenbauwohnungsbriefkasten gefingert wurde, die Familie gemeinsam zur Post ging – obwohl einer völlig genügt hätte, um es zu tragen. Zu Hause wurde das zweifach umklebte, nach Stasidurchsicht nur notdürftig wieder zugeheftete, völlig verwühlte Paket wie ein Heiligtum – bis zu seiner Eröffnung am Vorweihnachtsabend – oben auf dem Schlafzimmerschrank gelegt. Es war aufregend. Wir benötigten die Zeit der Andacht, um zu entscheiden, ob wir den Inhalt gleich wegwarfen oder, weil wenigstens Kaffee oder Lakritze drin waren, es doch noch Grund zum Freuen gab. Auch wenn nur Zeug drin war, das wir selbst hatten, war es trotzdem schön. Man hat uns nicht vergessen, zwar falsch eingeschätzt – aber nicht vergessen!
Später hörte ich dann, daß man diese Pakete in den hungernden, unbekleideten Osten auch von der Steuer absetzen konnte … Da war ich ein bißchen sauer, verstand nun aber, warum nur selten etwas Sinniges und vor allem nie das drin war, was auf der Liste stand. Aber ich schimpfte trotzdem noch auf die Stasi. Diese elende Saubande.
Heute kommen keine Päckchen mehr, heute kommen die Wessis selber. Sie schicken nichts vor und bringen nichts mit. Sie laden uns auch nicht mehr ein, sie kommen mit leeren Taschen und fahren mit vollen: Salzwedler Baumkuchen, Halberstädter Würstchen, ‘ne Flasche Absthof Absinth, Hallorenkugeln und alle die kleinen Leckereien, die der Osten zu bieten hat. Und sie schimpfen dabei auf Omas »fette« Rente. Und die Stasi.
Ich hab mir überlegt, ob es jetzt vielleicht ganz nett wäre, wenn man sich als Ossi endlich entsprechend revanchierte: Ich schicke all meine abgetragenen Klamotten einfach in den goldenen Westen und setze diese gute Tat als (Heim-)Carepaket von der Steuer ab.