Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 24. Dezember 2007, Heft 26

Teilhabe an der Gesellschaft

von Heerke Hummel

Ronald Blaschke wirft mir in Blättchen Heft 24/2007 unter anderem vor, den emanzipatorischen Gehalt der Marxschen Kritik an der entfremdeten Arbeit nicht zu reflektieren (Blättchen Heft 22/2007). Diese Absicht hatte ich auf dem knappen Raum eines Blättchen-Artikels um so weniger, als ich bei meiner Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens von den realen Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft ausgehe.
Ich halte es für erforderlich, die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft – auch unter veränderten politischen Machtverhältnissen – über ein »System materieller Anreize« – womit ich nicht das heutige Verteilungssystem des Finanzkapitalismus meine – zur sinnvollen Einordnung in den gesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsprozeß mit seinen Erfordernissen zu bewegen. Nicht die Pflicht zur Arbeit entfremdet sie dem Menschen, sondern die spezifisch kapitalistische Art ihrer Durchsetzung – als Verkauf der Ware Arbeitskraft. Nicht daß der einzelne sich an der gesellschaftlichen Produktion beteiligen muß, um sein Recht zur Teilnahme an der Konsumtion – nach Maßgabe seiner Teilhabe – zu sichern, entfremdet ihn seiner Arbeit, sondern daß er nicht im Bewußtsein seiner eigenen Gesellschaftlichkeit am Produktionsprozeß teilnimmt beziehungsweise teilnehmen kann, weil die heutige Art und Weise der Produktion und Verteilung – und deren Leitung und Kontrolle – privaten Interessen, Zielstellungen, Maßstäben und so weiter unterworfen ist.
Meine Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens resultiert nicht nur aus meinen Erfahrungen mit Verhaltensweisen sowohl im Realsozialismus als auch in der gegenwärtigen Finanzgesellschaft, sondern auch aus theoretischen Erwägungen: Das Geld – das bedingungslos verteilt beziehungsweise zugeteilt werden soll – ist seinem Wesen nach in seiner heutigen Konstitution nichts anderes als ein gesellschaftliches Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung für geleistete oder gegebene gesellschaftliche Arbeit und damit Berechtigung zur Teilhabe am Realreichtum der Gesellschaft. Zwischen letzterem und dem Finanzvermögen der Gesellschaft ist genau zu unterscheiden, denn dieses ist nur eine ideelle Widerspiegelung des Realreichtums.
Mit Keynesianismus, den Ronald Blaschke bei mir vermutet, hat das nichts zu tun. Dennoch sehe auch ich den Staat als Herausgeber dieses von ihm sanktionierten Geldes in der Verantwortung, vor allem durch seine Geld- und Finanzpolitik dafür zu sorgen, daß der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß im Interesse der ökonomischen und ökologischen Erfordernisse der gesamten Gesellschaft abläuft und vom irrationalen Wachstumszwang befreit wird.
Dazu gehören untere und obere Einkommensbegrenzungen ebenso wie Arbeitszeitbeschränkungen und ein Kreditsystem, das auf Zinsnahme verzichtet, weil das Geld als Bescheinigung für eine Arbeitsleistung logischerweise nur aus einer solchen heraus entsteht. Die durch Illusionen erzeugte leistungslose Selbstvermehrung des Geldes widerspricht der Ökonomik des 21. Jahrhunderts und ließe den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß kollabieren.
Eine vernunftorientierte staatliche Geld-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik – mit einer schrittweisen Verkürzung der allgemeinen – notwendigen – Arbeitszeit bei unbedingter Beschäftigungsgarantie und Mindesteinkommen – scheint mir angesichts der gravierenden technisch-ökonomischen und sozialen Widersprüche in der Welt der bessere und sicherere Weg zu dem Ziel zu sein, das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen erreicht werden soll, zur – allmählichen, wie ich meine – »Überwindung fremdbestimmter Arbeit«.

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