Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 29. Oktober 2007, Heft 22

Schuldenverrechner

von Heiner Flassbeck

Für Fernsehjournalisten ist das Ding unbezahlbar. Wann immer sie eine reißerische Reportage über Alterung und die Bürden derselben unter die Menschen bringen wollen, schicken sie schnell eine Kamera zum Büro des Bundes der Steuerzahler in Berlin, die dort ein paar Sekunden lang filmt, wie der Schuldenrechner der öffentlichen Hand in unglaublichem Tempo vor sich hin rennt und das ganze Volk früher oder später ins Verderben stürzt. Das ZDF, das sich – in wirtschaftlichen Dingen – mit dem Tempo des Schuldenrechners der Seriosität der Zeitung mit den großen Buchstaben annähert, hat sich mit dieser Art der Panikmache in den vorigen Wochen besonders hervorgetan.
Ja, es ist wahr, die Schulden des Staates in Deutschland steigen. Betrachtet man nur eine Zeitlang die ganz kleinen Zahlen am Ende der vielen Milliarden, die sich die deutschen Bürger via Staat selbst schulden, dann kann einem in der Tat schwindelig werden. In den vergangenen Jahren stieg die Verschuldung immer in einer Größenordnung von mindestens fünfzig Milliarden jährlich, macht also etwa eine Milliarde pro Woche, den Rest erledigt jeder Taschenrechner.
Doch ob das irgendeine ökonomische Bedeutung hat, fragt niemand. Wer hat dem Staat eigentlich das Geld gegeben, mit Hilfe dessen er sich verschuldet? Steigen in Deutschland vielleicht auch die Einkommen von Menschen, die so hohe Einkommen haben, daß sie zwanzig Prozent oder mehr ihres laufenden Einkommens sparen? Müßten nicht diejenigen, die so gerne den Schuldenrechner zeigen, fordern, die Gruppen der Gesellschaft, die enorm hohe Ersparnisse haben, so zu besteuern, daß sie einen größeren Teil der allgemeinen Lasten tragen, statt genau für diese Gruppe, wie in den vergangenen Jahren in großem Stil geschehen, dauernd die Steuern zu senken?
Deutschland hatte im vergangenen Jahr die niedrigste Steuerquote aller Zeiten. Warum wird gerade da der Schuldenrechner so häufig bemüht, statt zu sagen, es könne etwas im Lande nicht in Ordnung sein, wenn der Staat so große Aufgaben hat, aber ausgerechnet die Wohlhabenden im Land sich nicht mehr an deren Finanzierung beteiligen wollen.
Perfide wird die Sache dadurch, daß man die einzige Art und Weise, wie der Staat das Geld auf Zeit von denen zurückholen kann, auf das er durch seine Steuersenkung verzichtet hat, mit Mitteln wie der Schuldenuhr verteufelt. Dann bleibt »natürlich« nur die Lösung, die kleinen Leute via Kürzung des Sozialhaushalts dafür sorgen zu lassen, daß der Staat die zukünftigen Generationen nicht belastet.
Die Schuldenrechnerei ist auch deswegen besonders dümmlich, weil man ja nur eine Uhr daneben stellen müßte, die die Einkommen zählt, die dem Staat in den letzten Jahren durch seine unverantwortliche Steuersenkungspolitik entgangen sind, und schon würde das Tempo der Uhr erheblich relativiert. Man könnte sich auch eine Uhr denken, die zählt, wieviel Geld der Staat in die Vereinigung mit Ostdeutschland gesteckt hat und das zum größten Teil deswegen nicht über Steuereinnahmen finanziert wurde, weil die damals und heute herrschende Oberschicht sich mit Händen und Füßen und schlimmeren Instrumenten dagegen gewehrt hat, auch nur über höhere Steuern für die Solidarität mit Ostdeutschland nachzudenken.
Das Beste wäre aber, neben die Schuldenuhr eine Uhr zu stellen, die den Vermögenszuwachs in jeder Sekunde in Deutschland mißt. Unsere Topmanager wissen doch sonst so genau, daß man die Höhe von Schulden immer bewerten muß vor dem Hintergrund der vorhandenen Vermögenswerte. Dann würden die staunenden Fernsehzuschauer oder die staunenden Touristen vor dem Büro des Steuerzahlerbundes in Berlin aber sehen, daß die Vermögensuhr viel schneller läuft als die Schuldenuhr und würden sich vielleicht fragen, wieso das bei ihnen persönlich eigentlich nicht der Fall ist.
Dann würden die Leute vielleicht auch fragen, was denn mit den Vermögen geschieht und warum die berühmten »Leistungsträger«, die den Staat über Jahre gedrängt haben, Steuern für sie zu senken, damit sie mehr leisten können, nun dem Staat das Geld in Form von Staatsanleihen zurückgeben. Viele von denjenigen, die vom Staat in den vergangenen Jahren so großzügig bedacht wurden, haben offenbar gar nicht gewußt, was sie mit dem Geld machen sollen, das da so unverhofft in ihre Taschen gespült wurde.

Soeben erschienen: Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker: Das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen, Westendverlag Frankfurt am Main 2007, 302 Seiten, 24,90 Euro