von Hermann-Peter Eberlein
Nirgendwo mehr kann man ihm entgehen: dem Thema Gott, Religion, Glaube. Werden wir seit mindestens anderthalb Jahrzehnten mit allerlei wohlmeinender Aufklärung über und angstmachenden Warnungen vor dem Islam überschüttet und fühlen uns seit zweieinhalb Jahren stolz kollektiv als Papst, so kontern nun die neuen Atheisten und versuchen uns zu beweisen, warum es keinen Gott gibt.
Mit penetranter Eindringlichkeit behauptet dagegen der römische Pontifex die Christlichkeit des Abendlandes, die Auseinandersetzungen über die unmaßgeblichen ästhetischen Ansichten eines unmaßgeblichen Kölner Theologen namens Meisner füllen die Feuilletons, in Kultusministerien entsteht eine skurrile Debatte über Evolutionslehre und Schöpfungsglauben. Der Stern, die Zeit, der Spiegel – sie alle punkten im Kampf um den Leser mit religiösen Themen auf den Titelseiten.
Hatten wir das nicht alles schon einmal? War nicht die Religionskritik einst – von Voltaires bis zu Bruno Bauers und Ludwig Feuerbachs Zeiten – die Speerspitze im Kampf um die Überwindung der alten Autoritäten zugunsten dessen, was man lange gesellschaftlichen Fortschritt nennen konnte? Kann sich Geschichte so wiederholen?
Sie kann. Und leider werden die Argumente dabei nicht besser. Im Gegenteil: der fünfte Aufguß desselben Tees – nach den englischen Deisten, den französischen Materialisten, den Linkshegelianern, Marx, Nietzsche und Freud samt ihren jeweiligen Gegnern – schmeckt fad. Die Argumente sind alle schon tausendmal hin- und hergewendet. Was Richard Dawkins in seinem »Gotteswahn« gegen die Religion vorbringt, ist genausowenig originell wie das, was Manfred Lütz in seiner »kleinen Geschichte des Größten« für sie ins Feld führt. Ordentlichen Atheismus gibt es nur auf christlicher Grundlage: Das wußte schon Ernst Bloch. Die Kirchengeschichte, ein Mischmasch von Irrtum und Gewalt und damit bestes Argument gegen das Christentum: So sagte es schon Goethe, und so hat es Karlheinz Deschner in seiner monumentalen Kriminalgeschichte des Christentums dargestellt.
Die Gottesbeweise hat bereits Kant ad absurdum geführt und zugleich die Ethik von der Theologie befreit. Daß es trotz allem sinnvoll sein kann, von einem religiösen Apriori als anthropologischer Konstante auszugehen, wissen wir seit Ernst Troeltsch, der darin die Konsequenzen der religionsgeschichtlichen Forschung des 19. Jahrhunderts gezogen hat. Die Position des skeptischen Agnostizismus ist in der Philosophiegeschichte von Montaigne bis Wilhelm Weischedel genauso bis in alle Verästelungen durchgespielt worden wie die entgegengesetzte eines Salto mortale in den Glauben von Pascal bis Kierkegaard.
Manchmal wird es geradezu ärgerlich. So etwa, wenn Dawkins den apersonalen Pantheismus eines Albert Einstein nicht als Religion gelten lassen mag, »weil für die allermeisten Menschen ›Religion‹ das ›Übernatürliche‹« impliziere. Das ist pure Unterstellung und übersieht, daß in einer nicht unbedeutenden religiös-theologischen Tradition Europas – der des deutschen Protestantismus – genau diese Religiosität eine Heimat mindestens gehabt hat. Religion ist weder Metaphysik noch Moral, also weder Wissenschaft noch Handlungsanweisung, hat vor zwei Jahrhunderten der große Philosoph und Theologe Friedrich Schleiermacher festgestellt, sondern Sinn und Geschmack fürs Unendliche, das nicht unbedingt personal oder transzendent gedacht werden muß. Hinter diese Unterscheidung kann der Protestantismus nicht mehr zurück, wenn er nicht unredlich werden will, und so verehrt die evangelische Kirche in Schleiermacher mit Recht noch heute ihren Kirchenvater des 19. Jahrhunderts. Dagegen den »eingreifenden, wundertätigen, Gedanken lesenden, Sünden bestrafenden, Gebete erhörenden Gott der Priester« ins Feld zu führen, weil es angeblich die Umgangssprache so will, beweist nur eine ziemlich erbärmliche Kenntnis der Geistesgeschichte.
Kurz: Die Alten waren besser. Sie hatten klarere Begriffe, und sie hatten meist einen besseren Stil. Es gibt keinen hinreißenderen Ausbruch des Unglaubens als Goethes Prometheus, keine gnadenlosere Abrechnung mit der Religion als Freuds Mann Moses und kein schöneres Dokument innerer Ergriffenheit durch den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs als Pascals Mémorial. Diese Texte – und Feuerbach, und Nietzsche, und Meister Eckehart – lohnt es zu lesen. Die heutige Neuauflage der Debatte um Gott hingegen ist langweilig.
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