Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Juli 2007, Heft 14

Wohin bloß mit dem lieben Geld?

von Angelika Leitzke

Tu nur Geld genug in deinen Beutel!« heißt es in Shakespeares Othello. Mittlerweile sind 500 Jahre vergangen, und wer heutzutage Bezieher eines Mindeststundenlohnes von fünf Euro dreißig oder weniger ist, hat entweder keinen Beutel, um dort Geld hineinzutun, beziehungsweise kein Geld, um denselbigen zu füllen.
Die privilegierteren Schichten unserer Gesellschaft mögen zwar Shakespeares’ Ausspruch noch aus verflossenen Schul- oder Studienzeiten kennen, haben aber dessen Worte in weiser Anpassung an die veränderte Weltwirtschaftslage ins Neudeutsche übersetzt. So heißt es bei ihnen nicht mehr, Geld in seinen Beutel zu stecken, sondern das Portefeuille mit Kreditkarten vollzustopfen: Visa–, Master- oder Diners Club Cards. Diese niedlichen kleinen Plastikchipkarten verfügen nun tatsächlich über zwei große Vorteile gegenüber der baren Münze: Erstens lassen sie sich in fast jeder auf die Bedürfnisse des businessman oder der buisnesswoman von heute zugeschnittenen Brieftasche unterbringen. Zweitens verraten sie nicht, über wieviel Geld der Betreffende denn nun wirklich verfügt: Sind es zehn, tausend oder eine Million Euro? Oder befindet sich unser Brieftaschenmensch derart im Kontominus, daß er zwar eine schicke Kreditkarte, aber leider kein Geld besitzt?
Sollte sein Bankkredit aber noch nicht total erschöpft sein, so bietet das kleine Plastikkärtchen für ihn einen dritten Vorzug: Man kann mit ihm großzügig Geld ausgeben, ohne weinenden Auges mitansehen zu müssen, wieviel Scheine und Münzen, Euros und Cents nun tatsächlich über die Ladentheke oder in die Hand eines diensteifrigen Kellners wandern. Kreditkarten sind daher oft die Vermittlungsglieder zur Herbeiführung eines hemmungslosen Konsumkaufrausches, einer Freßorgie im Edelrestaurant oder einer Übernachtung mit der Gattin des Vorgesetzten im Viersternehotel. Jede Menge Kreditkarten waren vermutlich im Spiel, als der Berliner Bankenskandal über die Bühne ging, bei dem allerdings Shakespeares warnender Ausruf »Tu nur Geld genug in deinen Beutel!« vermutlich überhört oder mißverstanden wurde.
»Kredit ist das Vermögen der jüngeren Söhne, und man lebt entzückend davon«, wußte Oscar Wilde bereits vor über hundert Jahren. Selbst Mitglied der upper class, hatte der berühmte Dandy nicht nur keine Hemmungen, seine Kredite überzustrapazieren, sondern erkannte als genialer Geist auch die Todsünde seiner und kommender Zeiten: »Heutzutage kennen die Leute den Preis von allem und von nichts den Wert.«, heißt es bei ihm in seinem Bildnis des Dorian Gray.
Nun sind wir zwar beileibe nicht alle vom Schlage eines Oscar Wilde, geben aber als glückliche oder unglückliche Besitzer von Portefeuilles und Kreditkarten trotzdem mit vollen Händen das Geld aus, sofern wir welches haben. Die Hersteller von Portefeuilles haben natürlich schon längst Lunte gerochen und produzieren im Hinblick auf den Kontostand ihrer Kunden nicht nur Brieftaschen aller Größen und Couleurs, aus Kunststoff, Klarsichtfolie und Echtleder, sondern statten sie auch mit so vielen Fächern aus, daß wir entweder gezwungen sind, uns noch mehr Kreditkarten anzuschaffen oder Chipkarten anderer Herkunft hineinzutun, damit unser Beutel nicht so armselig leer aussieht: Beliebt sind der neue EU-Führerschein mit dem Neo-R.A.F.-Foto, Personalausweis sowie die x Bestätigungen, daß man Mitglied einer anständigen Krankenkasse, einer Auto- und Unfallversicherung ist, zum Bund der deutschen Klima- und Umweltschützer und Club der Toten Dichter gehört, als rechtmäßiger Benutzer von vier Leihbibliotheken einschließlich Videothek gilt und außerdem als Schwerbehinderter den Freibrief hat, seinen Wagen überall parken zu dürfen. Ganz zu schweigen von den diversen Visitenkarten, handbemalten Zetteln mit Telefonnummern und Adressen und der Einkaufsliste für den nächsten Tag, die in der Dunkelheit der vielen kleinen Fächer auf Nimmerwidersehen verschwinden.
Wehe dem, der diese Brieftasche verliert! Auch wenn sie augenscheinlich kein echtes Geld barg: Ihren armen Besitzer wird es ein kleines Vermögen kosten, sie mitsamt dem kostbaren Inhalt zu ersetzen. Es sei denn, er verzichtet auf seine Identität als Kreditkarteninhaber und ordentlicher deutscher Staatsbürger.
Die mittelalterlichen Diebe hatten es da einfacher: Sie steckten das Geklaute in ihre Geldkatze, die sie erst dann aus dem Sack ließen, als sie längst über alle Berge waren.