von Klaus Hart, São Paulo
Deutschlands Städtemachthaber lassen es zu, daß durch immer stupidere Produkt- und Firmenpropaganda die urbanen Landschaften noch häßlicher werden, als sie es ohnehin sind. In São Paulo hat die Präfektur indessen seit Jahresbeginn zugunsten städtischer Ästhetik einen Kreuzzug gegen solche visuelle Umweltverschmutzung gestartet.
Großflächige »Propaganda«, wie man im Portugiesischen hier auch die Außenwerbung ganz offiziell nennt, wird radikal beseitigt. Geschäfte, Supermärkte dürfen – anders als beim US-Vorbild – nicht mehr durch riesige grelle Schilder auf sich aufmerksam machen, die jetzt installierten sind direkt winzig. Die drittgrößte Stadt der Welt verändert im Moment täglich ihr Gesicht, wirkt weniger amerikanisiert, die Einwohner staunen. Auf einmal ist der Blick auf schöne alte Häuserfassaden und sogar auf Parks nicht mehr durch häßliche, teils gigantische Werbeflächen verstellt. Arbeiter der Präfektur reißen sie mit schwerem Gerät systematisch nieder.
Nicht selten steht Bürgermeister Gilberto Kassab, Außenseiter in einer rechtskonservativen Partei, gleich daneben und feuert die Leute an. »Unsere Philosophie ist«, so sagt er, »daß Umweltverschmutzung selbst in den großen Städten bekämpft und besiegt werden kann. In São Paulo zählt sie zu den größten Problemen – visuelle Umweltverschmutzung hat die Stadt regelrecht verschluckt. Doch jetzt räumen wir auf, haben die Sympathie der Öffentlichkeit, der Medien, wollen der ganzen Welt ein Beispiel geben. Wir wollen nicht mehr diese aggressive, unlautere, gewaltsame, aufgezwungene Propaganda, die alle attackiert!«
Im Edificio Martinelli, Lateinamerikas erstem Wolkenkratzer, einem wunderschönen, gerade einmal dreißig Stockwerke zählenden Prachtbau von 1925, leitet Regina Monteiro die Behörde für Umweltschutz und Stadtlandschaft. Die Architektin und Urbanistin hat das Anti-Propaganda-Gesetz namens Cidade Limpa – Saubere Stadt – formuliert. »Immer wieder heißt es, São Paulo sei häßlich. Ich dachte mir, das müssen wir radikal ändern. Denn die Propaganda schüttet alles regelrecht zu, tötet den städtischen Raum. Als ich den Präfekten darauf ansprach, sagte der: ›Regina, du kannst jetzt deinen Traum verwirklichen, wir ziehen das durch.‹«
Die Werbebranche heult auf, wehrt sich nach Kräften – rund zwanzigtausend Arbeitsplätze seien gefährdet, würden gar vernichtet. In den Medien heißt es dazu, so könne man auch den Rauschgifthandel, Banküberfälle, die Urwaldvernichtung und selbst die im Lande grassierende Korruption rechtfertigen – denn auch da würden Unmengen von Arbeitsplätzen geschaffen. Pseudoprogressive Kläffer, Leute aus der Kulturschickeria kritteln, Werbung mache die Stadt bunter, fröhlicher. Andernfalls, heißt es allen Ernstes, werde das hier ein »Berlin L’este«, ein Ostberlin der siebziger Jahre. Die Lichtreklamen von New York – sind sie denn nicht Symbole weltstädtischen Flairs?
Regina Monteiro von der Präfektur und mit ihr die Einwohnermehrheit sehen es glücklicherweise nicht so. Hierbei gehe es um Ästhetik, um mehr Lebensqualität. »Wir müssen Paradigmen brechen – unsere Idee ist tatsächlich revolutionär, ein Beispiel für die Welt. Selbst die Taxis dürfen jetzt nicht mehr mit Propaganda fahren. Damit hat der Präfekt sogar 35000 Taxifahrer gegen sich.« Ganz ausgetilgt werden die Propagandaflächen indessen nicht, aber sehr stark reduziert. »An Bushaltestellen, auch an Zeitungskiosken werden wir Propaganda weiterhin erlauben. Doch alles wird genau von der Präfektur kontrolliert.«
Bislang ist in Brasilien noch keine andere Millionenstadt dem Beispiel von São Paulo gefolgt. »Ausgerechnet in Rio de Janeiro erlaubt ein neues Stadtgesetz erstmals auch entlang des Copacabanastrandes solche Propaganda – das ist doch pure Roheit, wirklich absurd!«
Regina Monteiro ist seit 1988 in einer Bürgerinitiative gegen Stadtzerstörung aktiv und will jetzt, als Behördenchefin, gute Ideen aus Europa aufgreifen. Bis in die fünfziger Jahre wirkte São Paulo europäisch, erst danach wurde US-Ästhetik kopiert. »Vieles müßte man abreißen, mehr öffentliche Plätze schaffen – wir ersticken ja regelrecht in Beton. Unsere Fußwege sind viel zu klein, viel zu eng, damit eben die fünfeinhalb Millionen Autos mehr Platz haben. Völlig falsch! Über São Paulo kreist eine Flotte von 1100 Privathubschraubern – das ist ebenfalls blanker Irrsinn, erhöht die ohnehin gravierende Lärmbelastung.« Deutsche Städte, selbst Berlin, wirken im Vergleich zu Rio oder São Paulo friedhofsstill.
Das Duo Kassab-Monteiro geht auch an der Lärmfront unerbittlich vor. Open-Air-Metallschleiferei in Wohngebieten rund um die Uhr, Hardrock-Krach aus Straßenkneipen bis zum Morgengrauen – erstmals kommen die extrem gestreßten Paulistanos mit ihren Beschwerden durch, werden ernstgenommen. »Eine Fahrradkultur wie in Europa fehlt hier noch völlig, es müssen endlich Radwege her – ich würde das radikal durchziehen, wie bei der Propaganda.«
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