von Matthias Perske
Die Bürger bringen Briefe und Pakete immer noch zur Post, ohne im einzelnen immer sofort benennen zu können, welches Unternehmen nun gerade von ihnen beauftragt wurde. Wenn Züge bestiegen werden, um zur Arbeit zu fahren oder zu verreisen, wird häufig kaum anders geredet; die Bahn ist halt schön klimatisiert im Sommer beziehungsweise geheizt im Winter oder eben wieder mal pünktlich oder verspätet. Das Leistungs- und Preisspektrum der verschiedenen Anbieter wird hier wie dort verglichen, häufig entscheiden Zuverlässigkeit oder Preis.
Die jüngsten Tarifauseinandersetzungen bei der Telekom rückten dabei ins Bewußtsein, wie weit die Nachfolgegesellschaften der Deutschen (Bundes)Post bereits der öffentlichen Einflußnahme entzogen sind; ein Prozeß, der den Nachfolgegesellschaften der Deutschen Reichs-/Bundesbahn in seiner ganzen Dramatik erst noch bevorsteht, wenn sie als öffentliche Dienstleister vom Markt verschwunden sein werden.
Dabei sind die Gesellschaften der Deutschen Bahn ungefähr nur noch zur Hälfte als Eisenbahnunternehmen aktiv beziehungsweise auf eisenbahnaffinen Geschäftsfeldern tätig. Zukäufe im weltweiten Logistikgeschäft oder Verkäufe auch aus dem traditionellen Betrieb wie dem Ostseefährverkehr lassen die Suche nach einem neuen Markennamen für dieses Konglomerat, das an die Börse verfüttert werden soll, nur folgerichtig erscheinen. »Mobilität, Netzwerke und Logistik« eben – natürlich auf Englisch und ohne Komma. Der realwirtschaftliche Bezug tritt dabei immer weiter in den Hintergrund.
Für das Geschäftsfeld Bahn – also von der Eisenbahninfrastruktur mit ihren Strecken, Bahnhöfen und Netzen für Telekommunikation, Leit- und Sicherungstechnik – und dem Eisenbahnverkehr mit seinem Triebfahrzeug- und Wagenpark darf der bisherige Eigentümer Bund gewiß nicht die größten Gewinnerwartungen hegen. Werden im Bankgewerbe Eigenkapitalrenditen von über dreißig Prozent erreicht, sind für die Eisenbahn realistischerweise nur wenig mehr als zehn Prozent zu erwarten.
Kerngeschäft des Geschäftsfeldes Bahn ist der Personen- und Güterverkehr. Beide Sparten wurden einer Sanierung unterzogen, die den weniger gewordenen Mitarbeitern viel abverlangte, aber auch Perspektiven eröffnete und den Reisenden und der verladenden Wirtschaft auf dem kleiner gewordenen Streckennetz neue Verbindungen und komfortablere und leistungsfähigere Wagen brachte. Alles Leistungen, die ebensogut oder ebenso kritikwürdig von einem Staats- wie von einem Privatunternehmen erbracht werden können, das einer (betriebs)wirtschaftlichen Buchhaltung unterliegt. Weshalb also dieser Verkauf öffentlichen Eigentums?
Bisher haben sich keine großen Proteste am geplanten Börsengang der Bahn entzündet, und sie sind wahrscheinlich auch nicht mehr zu erwarten. Die politisch etablierte (installierte?) Klasse läßt zu, daß die realen Wertschöpfungsketten mit ihren Mitarbeitern und Unternehmern in den bodenlosen Trichter der Kapitalverwertung gezogen werden; gesellschaftliches Eigentum wird mit einer Maßlosigkeit enteignet, der seit dem Verschleudern der DDR-Volkswirtschaft kein Einhalt mehr geboten wird.
Was wird aus der parlamentarischen Demokratie in Deutschland und Europa? Ist der Zug bereits abgefahren? Die Protestierenden vor dem G 8-Gipfel jedenfalls wurden von einer weltweiten, wahrhaft globalisierten, Interessengemeinschaft getragen; die »Schwarzfahrer« hinter dem Zaun, der zu ihrer Abschottung errichtet worden war, hatten keine Mehrheit.
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