von Angelika Leitzke
Die Bedenken gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union könnten weiter zerstreut werden, wenn man sich mehr auf Ergebnisse palaeogenetischer Forschungen verlassen würde. Sie kreisten jüngst um die Entstehungsgeschichte des Auerochsen, lateinisch Bos taurus primigenius, deutsch auch Wildrind genannt. Dieser wurde auf Gottes Erdboden zuletzt im frühen 17. Jahrhundert in Polen gesichtet, bevor er sich dem Aussterben ergab: Das letzte Exemplar erlegten anno 1627 Wilderer im Wald von Jaktorów. Der Auerochse galt bis vor kurzem als der Vorfahre unser heutigen Hausrinder, die als Fleckvieh, lila Milka Kuh oder Schwarzbunte europäische Regionen von der Alpenwiese bis zum schottischen Hochland zieren.
Mit diesem Irrtum räumten nun rührige Wissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz gründlich auf. Richtig bleibt nach wie vor, daß der Ur in Mitteleuropa vor etwa 250000 Jahren auftauchte und zugleich auch in Westasien, Indien und Nordafrika anzutreffen war. Lange Zeit diente er hauptsächlich als Fleischlieferant, wobei er bei der Größe eines Elefanten wohl für einen ganzen Clan als Wochenration herhalten mußte.
Doch die Zahl der in Europa lebenden Auerochsen verringerte sich aufgrund der Vergletscherung Europas vor zirka 16000 Jahren. Womöglich war auch eine noch nicht näher erforschte Frühform der BSE im Spiel, vor deren Verderben die damaligen Medien nicht adäquat warnen konnten. Etwas später stieg seine Zahl wieder an. Schließlich trudelte er fast überall in Europa herum, starb jedoch, offenbar verschreckt durch die Geburt Christi, im Mittelmeerraum und in Asien aus. Durch Jagd, Zerstörung seiner Reservate und aufgrund fehlender Tierschutzorganisationen wurde er allmählich auch in Mitteleuropa immer seltener.
Am meisten zu schaffen machte aber dem europäischen Ur eine Konkurrenz, die vor rund 8500 Jahren über den Bosporus heranschritt: Dies in Gestalt einer genetisch völlig anderen Rinderrasse, die binnen weniger Menschengenerationen in ganz Mittel- und Osteuropa beheimatet war. Laut der Mainzer Forscher kam sie mit Viehzügen aus Anatolien, wo einst Osman I., Urvater der Türkei, sein Zepter schwang. Ob die Tiere gegen ihr Einverständnis eingeschleppt wurden oder freiwillig mitgingen, ist nicht bekannt. Vermutlich entsprachen sie dem steinzeitlichen Verständnis von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie und durften so die europäische Grenze passieren.
Erstaunlicherweise konnten die Mainzer Wissenschaftler in Übereinstimmung mit ihren Kollegen im irischen Dublin keine Kreuzungen zwischen den einheimischen wilden Auerochsen und den eingeführten domestizierten Rindern feststellen. Beide Rassen wurden offenbar im frühen Neolithikum völlig getrennt voneinander in Gehegen gehalten. Während laut dieser jüngsten Forschungsberichte aus der frisch importierten Rasse unser heutiges Hausrind hevorging, verschwand der Auerochse und wurde zuletzt im Kreuzworträtsel gesichtet.
Alleine damit die Herkunft unseres gemeinen Hausrindes nicht gänzlich unserem globalisierten Blickwinkel entgleitet, wäre eine Aufnahme der Türkei in die große europäische Bruderschaft wünschenswert. Man bedenke: ohne Anatolien kein Rinderbraten auf deutschem geschweige denn europäischem Tisch! Türken wären dann nach ihrer vollständigen Integration in die EU streng getrennt von ihren europäischen Artgenossen zu halten, schon um humangenetisch geschichtswidrige Kreuzungen zu vermeiden. Alles ist machbar, auch mit EU-Steuergeldern.
Die Forscher in Mainz und Dublin haben allerdings auch festgestellt, daß die neue Rinderrasse nicht nur in Anatolien, sondern auch in Syrien domestiziert wurde. Das wirft für die nächste EU-Ratspräsidentenschaft die schwerwiegende Frage auf: Wie ist Syrien in die europäische Gemeinde zu integrieren?
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