von Achim Engelberg
Der Kalte Krieg mit seinem Gleichgewicht des Schreckens ist heute soweit Geschichte, daß einige Historiker nicht nur Einzelstudien veröffentlichen, sondern sich an Gesamtschauen wagen, die sich an ein Publikum jenseits der Fachzirkel wenden. Genau zum sechzigsten Jahrestag des »Konstituierungsjahres« (Stöver) dieser Epoche, liegen Der Kalte Krieg – Geschichte eines Radikalen Zeitalters 1947-1991 des in Potsdam wirkenden Bernd Stöver und Der Kalte Krieg – Eine neue Geschichte des renommierten amerikanischen Geschichtsschreibers John L. Gaddis vor. Wie unterscheiden sich beide Werke?
»Der Begriff des Kalten Krieges stammt aus dem Jahr 1946«, beginnt Stöver, er »wurde 1947 als öffentliches politisches Schlagwort geläufig und ab 1950 auf beiden Seiten des ›Eisernen Vorhangs‹ so üblich, daß er in der Literatur bis heute Tausende von Titeln geprägt hat.«
Gaddis erster Satz lautet: »Im Jahr 1946 mietete ein 43jähriger Engländer namens Eric Blair ein Haus am Rand der Welt. Er erwartete, darin zu sterben.« Der Autor erzählt weiter wie Herr Blair ein Buch schreibt, das er unter seinem Schriftstellernamen George Orwell veröffentlicht, es wird ein zentrales literarisches Dokument der Epoche mit dem Titel: 1984.
Während Gaddis erzählt, berichtet Stöver und versucht, das Zeitalter begrifflich zu erfassen. Wo Gaddis von veränderten Wahrnehmungen schreibt, heißt es bei Stöver: »Überwindung von eingefahrenen Perzeptionsmustern.« Gaddis kann den Universitätsprofessor ablegen, Stöver gelingt das weniger.
Obwohl Bernd Stöver nicht von einer antikapitalistischen Position schreibt, benennt er deutlicher als Gaddis Verfehlungen des Westens, etwa wenn er von der Rekrutierung mutmaßlicher Kriegsverbrecher wie den Ukrainer Mikola Lebed durch amerikanische Geheimdienste spricht. Über den Osten aber heißt es, daß die Stasi wie der KGB dagegen »völlig auf einschlägig nationalsozialistisch belastetes hauptamtliches Personal« verzichtete. Nur bei zeitweilig beschäftigten Agenten nahmen sie es nicht so genau.
Wenn man bei Gaddis immer wieder treffende psychologische Portraits von Hauptakteuren wie Stalin findet, gibt Stöver aufschlußreiche Entwicklungen kund, wenn er etwa darauf hinweist, daß eine Reihe von prominenten Antikommunisten als überzeugte Marxisten begannen. Ronald Reagan bekannte 1983, daß seine politischen Auffassungen wie die der gesamten US-Politik entscheidend durch James Burnham geprägt worden seien. Als er ihm dann die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Medal of Freedom, verlieh, vergab er sie an einen jahrelangen Mitarbeiter von Leo Trotzki. Solche Ambivalenzen fehlen bei Gaddis, obwohl er sein Buch mit George Orwell eröffnet – einem Autor, der durch James Burnhams Buch Das Regime der Manager zu seinem Klassiker 1984 angeregt wurde.
Wenn Gaddis allerdings historische Parallelen und Traditionslinien bis hin zur Antike verfolgt, unterläuft ihm nie eine so verständnislose Formulierung wie Stöver, daß die Arbeiterbewegung sich seit dem 19. Jahrhundert mit der sozialen Frage profiliert hätte. Profiliert? Die Arbeiterbewegung war die soziale Frage.
Daß der Kalte Krieg auch ein Krieg der Geheimdienste war und deshalb jede Gesamtdarstellung auf unsicherer Quellenlage basiert, zeigt sich immer wieder beim Vergleich: Während der etliche Politthriller anregende Spionagetunnel nach Ostberlin für Gaddis eine der erfolgreichsten CIA-Aktionen war, meint Stöver, daß seine Bedeutung zweifelhaft sei. Die inszenierte Aufdeckung im April 1956 war ein Erfolg, allerdings für den Osten.
Gaddis bleibt seinem Gewährsmann, dem amerikanischen Historiker, Diplomaten und Kalten Krieger George F. Kennan, dem er auch das Buch widmet, treu und ist damit allzu parteiisch. Stöver beschreibt die Epoche als systemtheoretisch zu betrachtende Einheit, die von der Formierung und Eröffnung in den Jahren 1945/47 über die Blockbildung (1947/48 bis 1955), Verlagerung in die Dritte Welt (nach dem Mauerbau 1961), Entspannung (1953 bis 1980), Rückkehr zur Konfrontation (1979 bis 1985) und schließlich zur Auflösung des Ostblockes (1985 bis 1991) geht. Bei diesem systemtheoretischen Ansatz wird die innerdeutsche Politik als Untersystem verstanden.
Bei Gaddis machen Personen Geschichte. So beendeten den Kalten Krieg die »Saboteure des Status quo«: Johannes Paul II., Lech Wale˛sa, Margaret Thatcher, Deng Xiaoping, Ronald Reagan, Michail Gorbatschow. Letzteren vergleicht er allerdings mit Woody Allens Held Zelig, der überall anwesend ist für den Preis, den Charakter einer stärkeren Persönlichkeit in seiner Umgebung anzunehmen. Die »große Revolution von 1989« sei von diesen »großen Schauspieler-Führern« gemacht worden.
Da ist Stöver nüchterner und zeigt verhängnisvolle Folgen. Über die Unterstützung der Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetarmee heißt es: »Schätzungen gehen davon aus, daß pro Jahr rund fünf Milliarden US-Dollar eingesetzt wurden, um den Guerillakrieg aufrechtzuerhalten. Daß diese Gelder, wie während des Vietnamkrieges, auch aus Schwarzen Fonds und Drogengeschäften stammten, war damals ein offenes Geheimnis.« Diejenigen, die man gestern aufrüstete, bekriegt man heute. Und auch die Verarmung Afrikas in den neunziger Jahren hängt mit der drastischen Kürzung der Entwicklungshilfe zusammen, die in Zeiten des Kalten Krieges eine Waffe im Systemkonflikt war »jenseits von rein wirtschaftlich begründeten Kosten-Nutzen-Rechnungen«.
Eines wird bei beiden Darstellungen deutlich: Der Kalte Krieg war eine Zeit der Stellvertreter. Deshalb bekämpften die beiden Weltmächte, die sich mit Atombomben nicht direkt militärisch bekriegen wollten, tatsächliche oder eingebildete innere Feinde – im Osten die Dissidenten, im Westen die Sympathisanten –, und ließen Regionalkonflikte wie in Angola und Afghanistan zu Stellvertreterkriegen eskalieren.
John L. Gaddis formuliert anschaulicher als sein Konkurrent, macht die Sachlage auch durch Landkarten deutlicher. Stöver aber sieht die Konfliktparteien ausgewogener. Er legte das schlechter geschriebene, aber insgesamt bessere Buch vor.
John Lewis Gaddis: Der Kalte Krieg – Eine Neue Geschichte, Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, Siedler München 2007, 384 Seiten, 24,95 Euro; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg – Geschichte eines Radikalen Zeitalters 1947-1991, Verlag C.H. Beck München 2007, 528 Seiten, 24,90 Euro
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