Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 16. April 2007, Heft 8

Gutes Planen?

von Ludwig Caputh

Was ist bemerkenswert, wenn sich ein Freund beim Lesen der Zeitung erschrickt? Zucken wir nicht alle zusammen, wenn wir heutzutage die Zeitung aufschlagen, wenigstens ein Mal pro Ausgabe? Irgendwo rollt doch immer ein Tsunami – wahrscheinlich direkt auf uns zu. Also: Wir sitzen im Café und trinken Tee, jeder eine Zeitung vor der Nase, ich die Süddeutsche, er die Frankfurter Allgemeine. Plötzlich stöhnt er hörbar auf und piekst mit dem Finger auf eine Zeile. Es handelt sich um einen Kommentar von G. H., in dem der Autor die Spanne schlägt von der Großen Koalition unter Kiesinger und Brandt zur heutigen, der er keine guten Noten gibt. Und da steht er, der Satz: »Damals – solange nicht die 68er Unruhen die Gemeinsamkeiten hinwegfegten – gab es nicht nur einen den Großteil der Bevölkerung überwölbenden Zeitgeist mit dem Kern, daß sich Gutes planen lasse (so irrig er auch gewesen sein mag).«
Der Zeitgeist war irrig. Oder, vorsichtiger gesagt, er mag irrig gewesen sein. Jetzt jedenfalls ist er weg. Kapiert?
G. H. ist Georg Hefty, verantwortlich für das Ressort Gegenwart dieses Flaggschiffs des deutschen Konservatismus. 1947 geboren im Niederbayrischen Pfarrkirchen, erste Schulbildung in einer katholischen Knabenschule, Abitur in Kastl, knapp vier Kilometer Luftlinie von Altötting entfernt, das Papst Benedikt der XVI. (Ratzinger) bei seinem Besuch das Herz Bayerns nannte, 403 Meter über NN, Schwarze Maria in der Gnadenkapelle, bedeutendster Wallfahrtsort in Deutschland seit hunderten von Jahren. Auf Postkarten erhebt sich in der Ferne das Alpenmassiv über die grüne Ebene, rein und schneebedeckt wie ehedem. Georg Hefty studierte dann in München politische Wissenschaft, Geschichte, Pädagogik und Wirtschaftsgeographie. Mit einem Graduiertenstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung promovierte er 1977 und schrieb ein Buch über die Außenpolitik Ungarns. Dann als persönlicher Referent eines CSU-Bundestagsabgeordneten nach Bonn, ehe er 1981 in die FAZ eintrat und samt Familie nach Frankfurt übersiedelte. Frankfurt am Main, versteht sich. Verheiratet, zwei Töchter.
Mein Freund, der mit der Zeitung und dem Finger, studiert wie Georg Hefty vor vierzig Jahren Politologie, auch er hat gute Verbindungen zur Konrad-Adenauer-Stiftung, auch er arbeitete in Büros von Bundestagsabgeordneten, auch er glaubte bis zum 7. März – und möchte so gerne weiterhin glauben –, daß sich Gutes planen lasse. Was soll ein Politologiestudent anderes glauben? Schließlich hängt auch die berufliche Laufbahn daran. Und nun die FAZ auf Seite Eins: Der Zeitgeist nach Hefty glaubt nicht mehr daran. Das trifft jemanden, der im Begriff ist auszuziehen, um Gutes in der Welt zu wirken, in Mark und Bein. Er ist auf die FAZ nicht ganz umsonst abonniert, aber das hatte er nicht erwartet. Er teilte bisher nicht die angestammte Skepsis des Konservatismus gleichermaßen gegenüber der Idee des Fortschritts, des Sozial-Engeneering und der Weltbeglückung. Er war durchtränkt vom grundsätzlichen Optimismus des technischen Zeitalters. Es wird besser mit uns. Wir werden unsere Ziele erreichen. Wir können beliebige Kräfte entfesseln und zähmen, daß sie für uns die Arbeit tun. Wir können der Welt die Struktur geben, die sie braucht.
Schnell weg mit dieser Zeitungsseite, die mit einem Satz alles in Frage stellt. Morgen kommt ja ‘ne neue.
Stellen wir uns mal vor, dieser Satz hätte sich nicht in diesen – ansonsten eher konventionellen – Artikel von Georg Hefty hineingemogelt, sondern in einen Kommentar von Dr. Reiner Hauk, in der FAZ verantwortlich für Wirtschaft, Geld & Mehr (Mehr tatsächlich groß geschrieben). Und stellen wir uns weiterhin vor, dieser Satz wäre auf diesem Wege nicht wie ein Tsunami ins Gehirn meines Freundes geplatzt, sondern ins Gehirn eines Börsianers oder Großanlegers, der sich öfter der Mühe unterzieht, den Wirtschaftsteil zu lesen und dabei eigentlich die Kommentarspalte aus tiefster Überzeugung und mit einem gewissen Ekel überschlägt.
Wenn es um Wirtschaft, Geld & Mehr geht, darf man sich seinen Aversionen jedoch nicht hingeben. Stellen wir uns nun drittens vor, dieser Börsianer wäre an diesem Tage einerseits erfreut und angeregt gewesen über die Lüfte des frühen Frühlings, aber andererseits ebenso besorgt wie wir alle. Und als Folge davon stellen wir uns vor, bei unserem fiktiven Börsianer hätte sich der Empfindungs- und Denkpanzer für einen kleinen Moment geöffnet, so daß der Gedanke eindringen und sich ausbreiten kann wie eine Erkenntnisinfektion:
Gutes Planen geht nicht mehr – also geht auch die Vorstellung vom guten Planen nicht mehr, und mit ihr stirbt der Traum von der immer besseren Zukunft, der es sinnvoll macht, daß ich in sie investiere – in Form von Aktien. Was mache ich dann hier also eigentlich? Stehe ich etwa auch auf Verlust?
Gehen wir mal lieber nicht davon aus, daß Georg Hefty eine solche Möglichkeit im Auge hatte, als dieser Satz sich in seinen Artikel einschlich. Jedoch eine Möglichkeit ist es. Sie hat sich nur – soweit wir wissen – nicht verwirklicht. Noch nicht. Denn: Was wir im Moment erleben, können wir durchaus auch als einen mentalen Tsunami beschreiben, der in die Köpfe eindringt und dort nach und nach alle heiligen Kühe unseres Denkens einstürzt und neue errichtet. Selbst die frühen Frühlingslüfte regen zu einer sich epidemisch ausbreitenden Kommunikation darüber an, ob wir nicht, ohne es auch nur zu ahnen, seit Jahrhunderten etwas grundsätzlich falsch machen. Noch stecken wir drin und können uns etwas anderes nicht vorstellen.
Aber hätte jemand vor Monaten voraussehen können, daß sich bald alle großen und kleinen Politiker dieser Erde überschlagen werden mit Programmen zum Klimaschutz? Chinesische Kommunisten sagen plötzlich das gleiche wie George W. Bush, und das nicht in einer zweitrangigen Frage. Die erste Welle des mentalen Tsunamis hat eingeschlagen. Weitere werden kommen. Die Hauptkoordinaten, gerade des letzten Jahrhunderts, also Kommunismus gegen freie Marktwirtschaft, Stalin, Hitler, meine und deine Raketen und so weiter, aus denen wir bis heute den Stoff für unsere kulturelle Kommunikation ziehen, geraten in eine neue, umfassendere Perspektive.
Was die Wissenschaft bei ihrer Introspektion schon lange als »Paradigmenwechsel« beschreibt, der auch dort keineswegs harmonisch verläuft, der steht uns jetzt offenbar in der gesellschaftlichen Introspektion bevor. Kein Wunder, daß dieser kleine Satz von Georg Hefty unbedingt ans Tageslicht wollte. Nun ist es raus. Mein Freund, der mit der Zeitung und dem Finger, zeigte kurzfristig Anzeichen von Panik. Das kann auch unserem fiktiven Börsianer passieren. Der schielt sowieso mit Sorge auf den Wackelkurs seiner Indizes und erwartet Turbulenzen.
Womit wir wieder beim Tsunami wären. Ist unser Börsianer schwer genug und verkauft auf einen Schlag, könnte er selbst zum Auslöser einer Wellenbewegung werden. Denn das Vertrauen in die Zukunft ist gerade nicht unbedingt stabil – trotz Aufschwung.
Sorgen also, wohin man schaut. Einen Trost gibt es jedoch: Das, was vor uns steht, wird neu sein. Und diejenigen werden die Krise meistern, für die das Wort neu einen guten und verlockenden Klang hat. Und wir wissen sogar schon, was wir nicht tun dürfen: Mit »Gutem Planen« ist nichts zu löten.