von Peter Drescher
Während der Fußballweltmeisterschaft verzichtete kaum eine Buchhandlung auf Sonderstände zum Thema Fußball. In diesen Zeiten medialer Überdehnung wäre es mir peinlich gewesen, auf einen Sammelband mit etlichen fußball-unfreundlichen Passagen hinzuweisen. Jetzt erst fühle ich mich zu seiner Nennung in der Lage. Versammelt sind Kurzgeschichten, Gedichte, Fotos und Comics rund um das braune Leder. Erinnerungen, Spaßiges, Bockiges, Amüsantes, Analytisches, Ätzendes. Es tauchen pubertäre Jünglinge auf, die sich als glitzernde Stars sehen; Schwangere, die bei ersten Kindsbewegungen das Gefühl spüren, da entwickele sich ein Fußballer; gestandene Männer, die alle das Zeug zum Bundestrainer haben; Ausredenerfinder geistern umher, und spinnige Theoretiker labern über das Kulturphänomen Fußball.
Der Tübinger Professor Jürgen Wertheimer – der einzige Autor, der über fünfzig Jahre alt ist – beleuchtet tiefschürfend, humorvoll, wort-akrobatisch geschliffen und mitunter sarkastisch die Affinitäten der Münchner Vereine Bayern und 1860. Wenn Claudia Haarmann in ihrer Erzählung Verspielt ihre Vielmännerei besingt, kommen Fußballfernere so recht auf ihre Kosten, Jürgen Flenkers Pokalheld lebt vom Ergötzlich-Gassenhauerischen und zeigt, daß es nicht nur die Spitzentruppen aus der Bundesliga gibt, Manfred Picha belauscht – in drei kurzen Versen gekleidet – ein Gespräch auf der Stadiontoilette. Manche Beiträge freilich erheben sich kaum über einen mittelprächtigen Schüleraufsatz. Und noch etwas: In Falko Hennigs köstlicher Geschichte klingt zwar, nicht nur wegen eines FC Schwarze Pumpe, deutlich Östliches an, und Dörte Herrmann, die Verfasserin des scharf sezierenden Gedichtes brot und spiele stammt sogar aus dem thüringischen Pößneck, trotzdem leidet das Buch, wie bei den meisten Veröffentlichungen zum Thema Sport üblich, an einer bedenklichen »Westlastigkeit«. Gibt es denn hierzulande nichts Aufspießenswertes? Keinen »Dorfclub« aus Brieske oder Steinach, der in der Oberliga manchem Großen ein Schnippchen schlug, keinen verbissenen, gesteuerten Zweikampf zwischen Chemie und Lok in Leipzig, keinen wackeren Nachwuchskicker, die gern mal – wenigstens – in Reinickendorf oder Fulda gespielt hätten? Sei’s drum. Und wenn auf einer Seite trocken bemerkt wird »Sport ist Scheiße«, so meint man förmlich das Augenzwinkern und Grinsen zu sehen und weiß: Klar, Fußball ist längst nicht alles, kann aber unheimlichen Spaß machen.
Klaus Berndl, Oliver Krull & Gabriele Scholz (Hrsg.): Stimmen aus dem Abseits, Konkursbuchverlag Tübingen 2006, 189 Seiten, 10 Euro
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