von Wolfgang Lieb
Anteil der Lohnnebenkosten unter EU-Durchschnitt« so titelt das Statistische Bundesamt am 8. Februar 2007 seine europäischen Vergleichsdaten. Im Vergleich mit 27 EU-Staaten beim Gesamtanteil der »indirekten« Arbeitskosten liegt Deutschland auf Platz 14, bei den per Gesetz vorgeschriebenen Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung sogar nur auf Rang 17.
Was in der öffentlichen Diskussion um die Lohnnebenkosten auch gerne verschwiegen wird, ist die Tatsache, daß in anderen Ländern mit niedrigeren gesetzlich abverlangten Lohnnebenkosten, die tarifvertraglichen beziehungsweise freiwilligen Aufwendungen der Arbeitgeber eine erheblich größere Rolle spielen als bei uns. So machten etwa im weitaus weniger sozialstaatlichen Vereinigten Königreich die nicht gesetzlichen Lohnnebenkosten vierzehn Euro je hundert Euro Bruttolohn aus, in Deutschland waren es sechs Euro.
Mit seinen Daten zur Außenhandelsbilanz widerlegte das Statistische Bundesamt zudem die Legende von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Wer zum vierten Male hintereinander »Exportweltmeister« ist und seine Warenausfuhr in zweistelliger Prozenthöhe steigern kann, der kann nicht gerade über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit klagen.
Einen Tag später vergleicht das Amt – zum wiederholten Male – die Lohnnebenkosten zwischen den 27 EU-Staaten. Und wieder wird ein hierzulande von allen Seiten vorgetragener Mythos durch nackte Zahlen widerlegt:
In Deutschland legen die Arbeitgeber je hundert Euro – an die Arbeitnehmer ausbezahlten – Bruttolohn 33 Euro obendrauf. In der Europäischen Union lag der Wert mit 36 Euro gut drei Euro höher. Betrachtet man ausschließlich die bei uns täglich kritisierten gesetzlich auferlegten Lohnnebenkosten, so kommt das Statistische Bundesamt gar nur auf einen Wert von zwanzig Euro. Bei diesen gesetzlichen Aufwendungen der Arbeitgeber liegt Deutschland an 17. Stelle der 27 verglichenen EU-Staaten. In Schweden, das etwa beim Wirtschaftswachstum oder bei der Arbeitslosenquote viel besser dasteht als Deutschland, zahlten die Arbeitgeber auf hundert Euro Bruttolohn mit über 51 Euro die weitaus höchsten Lohnnebenkosten.
Was in der öffentlichen Debatte um den Mythos der Lohnnebenkosten in Deutschland zudem völlig ausgeblendet wird, ist die Tatsache, daß in anderen Ländern mit einem niedrigeren Niveau sozialstaatlicher (gesetzlicher) Regelungen erheblich höhere tarifvertragliche, freiwillige oder sonstige Lohnnebenkosten bezahlt werden.
Nun wird man davon ausgehen können, daß in der innenpolitischen Debatte ein zweiter europäischer Vergleich des Statistischen Bundesamtes in den Vordergrund gestellt wird, nämlich die Arbeitskosten je geleisteter Stunde in der Privatwirtschaft. So beispielsweise der stern: »Dafür ist der deutsche Arbeitnehmer an anderer Stelle sehr teuer.«
Aber auch bei den Arbeitskosten ist Deutschland keineswegs, wie ständig behauptet wird, Spitzenreiter, wie dies etwa das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft unterstellt, sondern liegt europaweit auf dem sechsten Platz. Zu ähnlichen Werten kam auch schon das Institut für Marketing und Kommunikation; siehe auch www.nachdenkseiten.de vom 14. Juni 2006.
Aber auch auf die Propaganda über die zu hohen Arbeitskosten sollte man nicht länger hereinfallen. Entscheidender für die Rentabilität der Produktion und für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sind nicht die absolute Höhe der Arbeitskosten, sondern die Lohnstückkosten.
Nach der Statistik der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission aus dem Herbst 2005 ergibt sich innerhalb der EU im Vergleich der Lohnstückkosten folgendes Bild: Das Verhältnis von Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer zum nominalen Bruttoinlandsprodukt je Beschäftigten, also die realen Lohnstückkosten für Deutschland – und nur sie sind wichtig im internationalen Vergleich – haben sich in den letzten zehn Jahren unterdurchschnittlich entwickelt. Das ist ein Spiegelbild der guten Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Hier die Ziffern: Wenn man die Lohnstückkosten von 1995 gleich hundert setzt, dann liegen sie in Deutschland 2006 bei 95,1, in der Euro-Zone bei 95,5, in der EU der ursprünglichen fünfzehn minus Luxemburg bei 96,8 und bei allen heutigen EU-Ländern insgesamt bei 96,9. Und daß Deutschland bei der Reallohnentwicklung der vergangenen zehn Jahre die rote Laterne hat, wird leider auch nur selten erwähnt.
Man muß davon ausgehen, daß in der Politik und in den Medien diese Fakten einmal mehr nicht zur Kenntnis genommen werden. Die Bundesregierung und voran der Bundespräsident, werden weiter die Senkung der Lohnnebenkosten zum wichtigsten Ziel für die Senkung der Arbeitslosigkeit und für das wirtschaftliche Wachstum erklären und die Lohnnebenkosten für die soziale Absicherung bei der Rente, bei der Gesundheitsvorsorge oder bei der Arbeitslosenversicherung als »Umbau des Sozialstaates« für »objektiv notwendig« und »alternativlos« erklären. Und die »Mietmäuler« in der Wissenschaft und in den Medien werden weiter die Legende von den angeblich zu hohen Löhnen und den viel zu hohen Lohnnebenkosten wie eine Mantra nachbeten.
Es ist eben schon immer so gewesen, mit Mythen soll über die Realität hinweggetäuscht werden, mit Mythen läßt sich das kritische Bewußtsein der Menschen vernebeln, und mit Mythen hat man seit Jahrhunderten die Völker verführt.
Deshalb braucht die Politik und brauchen die einschlägigen Interessenverbände auch heute den Mythos der zu hohen Lohnnebenkosten – selbst wenn der Mythos längst durch die Wirklichkeit zerstört wurde.
Der Beitrag ist der empfehlenswerten Webseite www.nachdenkseiten.de entnommen
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