Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. März 2007, Heft 5

Feiern in Radom

von Martin Behrens

Bei den Szenkos kehrt heute die ganze Familie ein. Der Tisch quillt über: Würste, Bigos, Pieroggen, Schinken, Suppe, Wodka, Saft, Oblaten. An der Wand hängt ein Hirschgeweih, daneben ein Porträt des »polnischen Papstes« – bespickt mit Bernstein. »Es ist selten, daß alle Kinder nach Hause kommen«, ruft Mutter Bogna, die mit Tellern auf dem Arm aus der Küche kommt. Nur sie und ihr Mann sind zurückgeblieben in der kleinen Neubauwohnung in Radom, hundert Kilometer südlich von Warschau. »London, Bielefeld, Dublin«, seufzt Bogna, setzt die Teller ab, wischt sich über die schwitzende Stirn und schaltet den Fernseher ein. »Ich kann es ja verstehen«, sagt sie. »Es gibt hier keine Arbeit.«
Aber anfreunden kann sie sich nicht damit. Ebensowenig wie mit der Politik im Land. Ein Skandal jage den nächsten. Erst tanzten Mitglieder der von Bildungsminister Roman Giertych gegründeten Allpolnischen Jugend auf einem Neonazi-Konzert, streckten die Hand zum Hitlergruß und posierten auf Videos vor einem brennenden Hakenkreuz – und dann wenige Tage später dieser Sex-Skandal bei der Samoobrona. »Sie sind alle gleich.« Lepper und sein Vize Stanislaw Lyzwinski hätten sie sexuell genötigt, behauptet die Sekretärin Aneta Krawczyk. »Ausgerechnet hier in Radom, haben sie sich getroffen«, sagt Bogna. »Sonst kommt niemand mehr nach Radom.«
Es ist laut geworden um den Tisch. Die Kinder und Enkel toben, Wodkaflaschen leeren sich. Bognas Mann Jarek hat auf den Sportkanal gewechselt und schaut sich aus der deutschen Fußball-Bundesliga die Highlights 2006 an. »Arminia Bielefeld«, ruft er. Niemand hört zu.
Kaum eine Straße in Radom, in der man nicht über Hakenkreuz-Schmierereien stolpert. Marek Edelmann, der Führer des Warschauer-Ghetto-Aufstandes von 1943, gibt besonders Kaczyn´ski die Schuld dafür, daß die braune Saat aufgeht. Im Nachrichtensender TVN 24 sagte er: »Der Premier bewahrt doch diesen nationalistischen Geist, weil er diesen Nationalisten Giertych in die Regierung geholt hat, und weil er sich mit Radio Maryja abgibt.«
Der Polnische Medien-Ethikrat hat den Sender schon oft gerügt. Der Senderchef, Pater Rydzyk, reagierte: Er gründete einen eigenen, »unabhängigen Ethikrat«. Vor Rydzyks Fundamentalismus mußte selbst Papst Benedikt XVI. kapitulieren, der über Radio Vatikan wiederholt seinen Unmut über den Kanal äußern ließ. Doch Journalisten, die vor allem LPR- und PiS-Politiker hofieren, lassen sich nichts sagen. Auch nicht vom Papst. Von einem deutschen schon gar nicht.
Nach Warschau. Auf dem Weg zum Bahnhof Centralna stehen Frauen in Miniröcken frierend am Straßenrand. Vor dem Garagenladen, in dem wir eine Flasche Wasser kaufen, wühlt ein alter Mann im Müll. »Furchtbar, diese Kerle. Überall suchen sie nach etwas, was sie in Geld für Schnaps verwandeln können«, flüstert Basias Mutter.
»Morgen wird sie wieder in die Kirche gehen«, lächelt Basia. Nachmittags werde sie dann den Priester auf Kaffee und Kuchen einladen. Ihr auf fünf Uhr in der Früh eingestellte Radiowecker sei auf 101,2 programmiert: Radio Maryja.