Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. Februar 2007, Heft 3

Türkei, Zypern, EU

von Jürgen Werner

Die Türkei möchte in die Europäische Union. Dagegen gab und gibt es Einwände, in Deutschland besonders ideologische: religiöse und allgemein-kulturelle, vor allem seitens der CDU/CSU, wobei etwa Bundesinnenminister Schäuble und Bayerns Noch-Ministerpräsident Stoiber unterschiedliche Argumente vorbringen. Selbst wenn alle diese Einwände nicht gegenstandslos wären, hat die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Merkel als EU-Ratsvorsitzende seit Januar ohnehin die EU-Linie zu vertreten.
Als eine Hauptschwierigkeit kristallisiert sich immer stärker das Zypern-Problem heraus. Welche Gründe auch immer die Türken 1974 gehabt haben, zwei Fünftel der Inselrepublik zu annektieren – ein Putsch nationalistischer Griechen lieferte ihnen einen willkommenen Vorwand: Die jetzt 32 Jahre währende Annexion ist völkerrechtswidrig. Es ist schwer nachzuvollziehen, daß Brüssel überhaupt Beitrittsgespräche mit einem Staat aufnehmen und kontinuierlich weiterführen konnte, der große Teile des Territoriums eines EU-Mitglieds okkupiert hat; schließlich ist Zypern als Ganzes seit 2004 EU-Mitglied.
Die Türkei lehnt grundsätzlich die Anerkennung der Republik Zypern ab. Dabei ist diese international anerkannt, während der nordzyprische Separatstaat völkerrechtlich ausschließlich für die Türkei existiert. Als Anfang der achtziger Jahre Bangladesch die Anerkennung erwog, drohte das eng mit dem zu 80 Prozent griechischsprachigen Zypern verbundene Griechenland, Tausende Matrosen aus Bangladesch aus seiner Handelsflotte zu entlassen; Bangladesch verzichtete.
Die Türkei hatte die Chance, die Republik Zypern indirekt anzuerkennen, indem sie wie jeder der EU angehörende oder beitrittswillige Staat ohne Vorbehalt die Bestimmungen der EU-Zollunion realisierte, das heißt ihre Häfen und Flughäfen den Schiffen und Flugzeugen des freien Zyperns öffnete (»Ankara-Protokoll«). Dies verweigerte Ankara bis vor kurzem völlig. Unlängst hatte Premier Erdogan den bizarren Einfall, die Öffnung eines Hafens anzubieten, aber auch nur, wenn die zyprischen beziehungsweise unter zyprischer Flagge fahrenden Schiffe ausschließlich Güter aus Zypern transportierten – eine Farce, auf die die EU zu recht nicht einging.
Mag sein, daß Erdogan auf die noch immer einflußreichen Militärs seines Landes Rücksicht nehmen muß, die nicht auf ihre Stützpunkte in Nordzypern verzichten wollen; dort sind 40000 Soldaten stationiert. Welche Positionen die türkischen Hardliner nach den für 2007 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen haben werden, darüber kann man nur spekulieren. Die EU legt die Verhandlungen jedenfalls vorerst auf Eis.
Nur mutmaßen kann man auch, wieweit die USA aus strategischen Gründen auf die EU zu weitgehendem Entgegenkommen gegenüber der Türkei einzuwirken versuchen. Offiziell spielt derlei überhaupt keine Rolle; aber im Hinblick auf die explosive Lage in Vorderasien mit seinem islamischen Staatenblock und in dem ja ebenfalls an die Türkei grenzenden Transkaukasien (Georgien!) liegt ein solcher Gedanke nahe.
Wie immer die Frage der Annexion Nordzyperns gelöst wird, zur Zeit steht die Realisierung der Zollunions-Bestimmungen durch die Türkei im Vordergrund, also die Öffung aller türkischen Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge der Republik Zypern, unabhängig davon, was sie befördern.
Die EU hatte der Türkei faires Verhalten versprochen; wenn Erdogan klagt, es gebe dieses nicht, so sagt er nicht die Wahrheit: Die EU hat weit über die Schmerzgrenze hinaus fair mit der Türkei verhandelt; unfair war die Türkei, wenn sie ihre Zusagen in bezug auf die gleichberechtigte Behandlung der Republik Zypern im Rahmen der EU-Zollunion nicht eingehalten hat. Übrigens verhindert Ankara auch die Mitgliedschaft Zyperns in der OECD.
Zypern und andere Staaten sind der Türkei immer wieder mit Kompromißvorschlägen entgegengekommen, zum Beispiel in der Form, daß man bei Öffnung mehrerer türkischer Häfen und Flughäfen für Zypern den Direkthandel EU – Nordzypern ermöglichen würde. Zu Details siehe die in Berlin erscheinenden Zypern Nachrichten 12/2006. Übrigens hätte das Veto auch nur der Republik Zypern längst genügt, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei zu torpedieren.
Manche Medien spielen immer wieder die Frage des Annan-Plans hoch, der die Vereinigung der Republik Zypern und Nordzyperns vorsah. Von den Nordzyprern angenommen, die um jeden Preis schnell die Vorteile der EU-Mitgliedschaft genießen wollten, wurde der Plan von den Bürgern des freien Zyperns abgelehnt, aus guten Gründen, sah doch der Plan des UN-Generalsekretärs von einer Fassung zur anderen immer ungünstigere Bedingungen für die Republik Zypern vor. Es gab also keine »Blockade« der Republik Zypern, und es gibt sie auch jetzt nicht. Im Oktober hat die EU vorläufig 38 Millionen Euro für sechs nordzyprische Infrastruktur-Projekte freigegeben; das freie Zypern begrüßt dies ausdrücklich und leistet von sich aus zusätzliche Hilfe zum Beispiel durch kostenfreie medizinische Versorgung von Nordzyprern in Krankenhäusern der Republik Zypern.
Angela Merkel hat also in Brüssel auch in bezug auf Zypern eine schwere Aufgabe.