Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. Februar 2007, Heft 3

NPD, Reaktionen

von Martin Behrens

Mir wurde von Wirtschaftsförderern aus der Uecker-Randow-Region der Vorwurf gemacht, ich zeichne durch Berichte wie die im Blättchen 1/2007 ein einseitiges Bild der Lage, welches es »erschwere, wenn nicht unmöglich« mache, jemals etwas positiv zu bewegen.
Zum Vorwurf der Einseitigkeit: Natürlich gibt es Knospen zarter Hoffnung – couragierte Einzelpersonen, grenzübergreifende Kooperationen. Aber sie zeugen nicht von einem Mentalitätswandel. Vielmehr lenken solche Aktionen, da, wo sie als Meilensteine der demokratischen Entwicklung gefeiert werden, ab vom Kern des Problems. Sie sind lobenswert, aber gehen von einem zu idealistischen Weltbild aus. Kein Stolperstein zum Gedenken an jüdische Opfer des NS-Völkermordes wird das gesellschaftliche Klima in Pasewalk ändern können.
Ich möchte den Wirtschaftsförderern in einem zustimmen: Die materiellen Lebensbedingungen müssen sich verändern, um ein neues Denken zu ermöglichen. Es braucht eine solide wirtschaftliche Basis für gesellschaftliche Veränderungen. Ja, es braucht eine solide Basis, wenn Demokratie nicht nur auf dem Papier stehen soll.
Ich will die Ursachen des Rechtsextremismus nicht auf Arbeits- und Hoffnungslosigkeit reduzieren. Sie sind komplexer. In der DDR kam wirklicher Kontakt mit anderen Kulturen kaum vor. Die Ausländer, die es gab, lebten überwiegend abgeschottet. Seit dem Aufkommen der Solidarnosc-Bewegung schürte die SED-Parteiführung zudem die ohnehin latent vorhandenen antipolnischen Ressentiments. Xenophobie hat ihre Ursachen oft in Unwissenheit. Den DDR-Beitrag, auch ihren vielleicht zu oberflächlichen Umgang mit der Hitler-Diktatur, muß jeder selbst einschätzen.
Wer aber behauptet, der Verweis auf Massenarbeitslosigkeit als Nährboden für Rechtsextremismus verharmlose das Problem, verkennt nicht nur die Realitäten, sondern stellt sich beim Versuch, die Konsequenzen des Kapitalismus zu zerreden und das System zu legitimieren, selbst ein Bein. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, muß man kein Linksextremist, auch kein Marxist sein. Jeder Demokrat, der sich auch nur für einen Moment der Diktatur marktwirtschaftlicher Prinzipien zu entziehen vermag, würde hier zustimmen.
Rechtsextremismus ist eine unabdingbare Konsequenz eines ungezügelten Primates des Marktes. Hunderttausende Menschen in der DDR wurden 1990 nicht nur ihres Arbeitsplatzes, der Grundlage ihres Broterwerbes, beraubt – man entzog ihnen auch jeglichen gesellschaftlichen Wert. Denn nur auf den achtet das neue System. Zudem kommt ein weiteres Problem: In Ost und West herrschten verschiedene Definitionen von Freiheit. Auch für sie, die westliche Version der Freiheit, gingen die Menschen 1989 auf die Straße. Was jedoch die Freiheit, zu konsumieren, reisen, und so weiter wert ist, wenn das System nicht jedem gestattet, zu partizi pieren, wurde vielen erst später klar.
Daß die Faschisierung der Gesellschaft ausgerechnet dort ihre stärksten Blüten treibt, wo der Stand der Produktivkräfte am geringsten ist, mag ein Paradox der Geschichte sein. Es sei denn, man wertet die DDR-Historie nicht als ein Stück real-existierenden Sozialismus, sondern als ein Kapitel aus dem Buch Staatskapitalismus. Irrsinn aber ist der Glaube, mehr Wirtschaft, mehr Kapitalismus könnte den Rechtsextremismus bekämpfen. Schon heute gibt es Großarbeitgeber, die in der Region Uecker-Randow als wirtschaftliche Leuchttürme gefeiert werden, ihre Angestellten aber zu äußerst unsozialen Löhnen beschäftigen. Das verbessert die Situation auch nicht. Der Glaube, mehr Wirtschaft bedeute weniger Rechtsradikalismus, unterliegt einem falschen Paradigma. Wirtschaftskrisen, ein darniederliegender Staat haben schon mehrfach in der Geschichte (nicht nur in Deutschland) in den Faschismus geführt.
Genauso ins Leere schießen Bestrebungen wie die der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, europaweite Maßnahmen gegen Rechts zu initiieren. Bildung ist natürlich ein Schlüssel im Kampf wider die geistige Enge, aber eben auch nur das.
Der Rechtsextremismus kann realistischerweise nur besiegt werden, wenn sich im politischen Raum die Einsicht durchsetzt, daß er aufs engste mit dem kapitalistischen System verknüpft ist. Er ist eine Abwehrreaktion einer Unterschicht, der jedes Klassenbewußtsein, jeder internationalistische Geist abgeht. Er ist Instrument einer Wirtschafts- und einer politischen Elite, die sich seiner bedient, um die weitere Spaltung der Arbeiterschaft voranzutreiben. Wir sind noch nicht an diesem Punkt angekommen, wage ich zu hoffen.
Welche Konsequenzen sind also zu ziehen? Es wird höchste Zeit, daß die Freiheit, die dem westlichen Weltbild zugrunde liegt, also die Freiheit des Konsums, Kapitals, etc. wieder in Bahnen einer sozialen Marktwirtschaft gelenkt wird. Derzeit vollzieht sich das genaue Gegenteil. Der Sozialstaat baut ab. Gleichzeitig macht die De-Ideologisierung der Gesellschaft Fortschritte, gesellschaftliche Gegenentwürfe fehlen fast völlig.
Humanität kann nicht gedeihen, wo das System zwingt, das Fremde zu bekämpfen, um sich seine eigene Freiheit zu erkämpfen. Doch das fordert der Kapitalismus. Es ist nicht illegitim, daß die NPD solche Themenfelder besetzt. Es ist vielmehr ein Armutszeugnis für alle demokratischen Parteien, die eben dies versäumt haben – und sich statt dessen eifrig am Abbau des Sozialstaates beteiligen.