Das Übermaß jener Informationsflut, die täglich über uns kommt, ist gemeinhin nicht mehr planvoll zu verarbeiten. Oft genug ist es deshalb Glücksache, auf Informationen oder/und Meinungen zu stoßen, die nicht eben zum Mainstream zu zählen sind; zumindest, wenn man die Parteien betrachtet, aus deren Mitte sie kommen.
Dem eigentlich so verrufenen Surfen im Internet war dieser Tage die Kenntnisnahme eines Interviews zu danken, das spiegel-online mit dem Mitglied des Bundestages Willy Wimmer über die Ausweitung des bundesdeutschen Engagements in Afghanistan führte. Wimmer, für die CDU MdB seit 1976 und zwischen 1988 bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, lehnt darin – ganz im Gegensatz zu CDU-Verteidigungsminister Jung und der gesamten Koalitionsregierung die Entsendung der sechs Aufklärungs-Tornados an den Hindukusch vehement ab.
»Wenn die Tornados einmal in Afghanistan sind«, sagt er mit Nachdruck, »dann ist diese Entscheidung des Kabinetts das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Die sogenannten Restriktionen dienen doch nur dazu, die Öffentlichkeit über den wahren Charakter dieses Einsatzes zu täuschen. Ich bin überzeugt, daß wir auf Dauer unweigerlich in die Kämpfe im Süden mit hineingezogen werden. Die Bundesregierung muß wissen, was sie da tut.«
Das Argument, daß die Tornados doch dem Schutz der Alliierten dienen, läßt Willy Wimmer nicht gelten. »Die Amerikaner brauchen doch die deutschen Tornados gar nicht. Sie verfügen selbst über diese Fähigkeiten. Hier wird ein Spiel mit gezinkten Karten getrieben. Es ist doch auffällig, daß nur wir Deutschen die Aufforderung erhalten haben, diese Flugzeuge zur Verfügung zu stellen.«
Regelrecht schändlich nennt der Verteidigungsexperte britische und amerikanische Vorwürfe, daß sich die Bundeswehr im relativ ruhigen Nordafghanistan als Sozialarbeiter aufführten, während man selbst für das Töten zuständig sei. Das trägt »nicht dazu bei, Vertrauen in der Allianz aufrecht zu erhalten, unterstreicht der 63jährige Politiker. »Wenn wir nicht so eine vernünftige Politik im Norden betreiben würden – und das sage ich trotz meiner Ablehnung des Gesamteinsatzes –, würden wir ganz Afghanistan in Flammen setzen. Mein Problem mit den Angelsachsen ist, daß sie eine Form von totaler Kriegsführung praktizieren, bei der Politik in die Ecke gestellt wird.« Was in Afghanistan fehle, sei Politik. Derzeit werde aber das Augenmerk auf militärische Operationen gelegt. »Was wir brauchen – und das haben mir Karzai und alle meine afghanischen Partner erneut versichert –, ist eine Strategie des Dialogs, des Dialogs und nochmals des Dialogs zwischen allen Beteiligten. Aber so wie sich die britischen und US-Streitkräfte im Süden verhalten, bringen sie die Bevölkerung gegen sich auf und tragen dazu bei, daß die Bäume der Taliban wieder anfangen zu wachsen.«
Auch die Hoffnung anderer deutscher Verteidigungsexperten wie etwa des Sozialdemokraten Rainer Arnold, daß sich angloamerikanische Militärführung bei Operationen eine genauere Abwägung ziviler Opfer zu eigen machen würden, vermag Wimmer nicht zu teilen. »Herr Arnold weiß es doch besser. Im Süden sind die Niederländer, die sich so verhalten, wie wir es gerne sehen. Die geraten jetzt unter enormen US-Druck und sollen zur Form der unterschiedslosen Kriegsführung zurückkehren.« Wimmer weiter: »Die unterschiedslose Kriegsführung, wie sie die Angelsachsen praktizieren, ist ein eklatanter Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht. Das wissen alle Beteiligten, die sich damit beschäftigen – vor allem in der Bundeswehr. Die Weitergabe von Daten für Operationen, bei denen Zivilisten getötet würden, wäre strafrechtlich als Beihilfe zu bewerten. Im übrigen: Ein deutscher General hat sich erst kürzlich entsetzt über die Operation Medusa geäußert, bei der in Afghanistan hunderte Tote zu beklagen waren – darunter viele Zivilisten.
Deutsche Piloten, so hatte Willy Wimmer erst kürzlich öffentlich erklärt, seien durch die Weitergabe von Tornado-Bildern für Angriffe, bei denen Unschuldige sterben, direkt auf dem Weg zum Internationalen Strafgerichtshof; eine Position, die sein CSU-Kollege Guttenberg als »nicht erträglich« qualifizierte.
»Bei völkerrechtlich abgesicherten Einsätzen der Bundeswehr, etwa im Kongo oder im Libanon, habe ich der Bundesregierung im Bundestag zugestimmt«, erwidert Wimmer darauf. »Dem Kollegen Guttenberg kann ich nur empfehlen, sich in und um Afghanistan so oft aufzuhalten wie es ihm möglich ist, damit er weiß, wovon er redet. Im Übrigen: Ich erhalte sowohl in meiner Fraktion als auch in der Bevölkerung mehr und mehr Zuspruch zu meiner Position.«
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