Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 22. Januar 2007, Heft 2

Vor der Wahl, nach der Wahl

von Kurt Merkel

Fährt man von San Francisco nach Süden, nimmt man als Tourist oder Ausflügler den auf den Karten als Scenic Tour ausgewiesenen Highway 1 entlang des Ozeans. Das Wissenschaftszentrum Palo Alto im Süden der San Francisco Bay erreichen die eiligen Reisenden über eine der Autobahnen in Richtung San José. Ich aber nahm diesmal eine Straße dazwischen, den El Camino Real, das ist die Straße, auf der einst die spanischen Kolonisatoren, von Mexiko kommend, nach Norden vordrangen.
Auf dieser Straße nun kommt man eigentlich gar nicht aus der Stadt heraus, an die riesigen Einkaufszentren und dann die Friedhöfe schließt sich eine Kette von kleinen freundlichen Städtchen an, die ihren gemeinsamen Ursprung in der Rodung der einst gewaltigen Redwood-Wälder haben. Die auf ihr beruhende Holzindustrie lieferte das Baumaterial für die nahe Stadt und die für den Holztransport benötigte Eisenbahn, die noch heute, nun als Vorortbahn, ihre Dienste verrichtet.
In Redwood City gibt es ein einfallsreich und liebevoll gestaltetes Museum, das die Geschichte der Region im prächtigen, da älter als hundert Jahre, also historischen ehemaligen Gerichtsgebäude vorführt. Da fand sich auch ein von reizenden alten Damen betreutes Antiquariat, das mit von den Mitgliedern des Museums-Fördervereins gespendeten Büchern handelt. Ich erwarb für ganze zwei Dollar ein Buch des englischen Journalisten Leonard Mosley: Lindbergh. A Biography aus dem Jahre 1976. Zu dieser Kapitalanlage hatte mich verführt, daß ich eben Philip Roths Roman Verschwörung gegen Amerika (Carl Hanser Verlag München, Wien 2004) gelesen hatte und nun nachlesen wollte, wie nahe Roth an der Lindbergh-Geschichte geblieben war.
Er war es engstmöglich. Der berühmte Atlantiküberflieger war im Laufe seines Lebens Antisemit und Rassist geworden, Gegner jeglichen politischen Liberalismus und Befürworter eines uneingeschränkten Kapitalismus. Seine Aktivitäten mit dem Ziel, die USA aus dem Zweiten  Weltkrieg herauszuhalten, beruhten auf seinem Antikommunismus und seiner Sympathie für den Faschismus. Er unterhielt Beziehungen zur deutschen faschistischen Elite und ließ sich von Göring dekorieren. Und es gab einen Kreis von Bewunderern, die ihn zum Präsidentschaftskandidaten gegen die Wiederwahl von Roosevelt aufstellen wollten.
Es zeigte sich, daß für all die Haltungen, die er nun repräsentierte, eine breite Basis vorhanden war – die vom Ku-Klux-Klan über die Prediger einer Überlegenheit der weißen Rasse, einen christlichen Fundamentalismus und selbst Vertreter der Euthanasie zur Beseitigung »unwerten Lebens« bis zu offenen Unterstützern eines Kriegseintritts an der Seite der Achsenmächte gegen die Sowjetunion reichte. Roth mußte »nur« die Geschichte erfinden, daß Lindbergh tatsächlich Präsident wird und an Hand des Schicksals einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie, Philip Roths eigener, die Folgen der faschistischen Herrschaft in den USA vorführen.
Nun las ich das alles in der Zeit der Vorbereitung der Midtermwahlen 2006. Und die Regierenden waren nicht gegen die laufenden Kriege der USA, sondern für deren Weiterführung. Doch sonst? Roth zeigt die Aushöhlung und Zerstörung der Demokratie im Inneren und den schweren Weg zur Überwindung dieser profaschistischen Entwicklung. Nun aber bestand die Wahlstrategie der Republikaner in der schier unglaublichen Propagierung der Fortsetzung der gescheiterten Kriegspolitik auf der Grundlage einer Einschüchterung der Bevölkerung durch das Schüren von Angsthysterie und einer Umkehrung der Kriegswahrheit. Da wurden die alten längst widerlegten Lügen über die Bedrohung der Welt durch den Irak und über die erreichten Erfolge beim demokratischen Aufbau frech wiederholt, der einem Staatsstreich ähnelnde Prozeß, mit dem die Amerikaner in die Kriege gezwungen wurde, verteidigt. Zum Jahrestag von 9/11 las ich in einem Leserbrief, die Erinnerung an diesen Tag sei »ein nützliches Werkzeug, mit dem man die Leute in Angst versetzen kann, damit sie ihre Freiheit wegwählen«.
Dazu ist es ja glücklicherweise nicht gekommen, wenn auch die Mehrheit der Demokraten die denkbar kleinste ist. Die von den Wahlen dokumentierte Ablehnung der Bush-Politik ist tatsächlich wesentlich verbreiteter, zieht man in die Bewertung das Ergebnis einer Untersuchung ein, die ich im September in der Presse fand. Danach sind in Kalifornien nur 56 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt in Wählerlisten eingetragen, die Weißen, die nur 46 Prozent der Bevölkerung stellen, sind aber 75 Prozent der aktiven Wähler. Über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden, faßt die Untersuchung zusammen, vorwiegend reichere, besser gebildete, ältere weiße Hausbesitzer.
Der größte Feind der Demokraten aber, und das wurde schon vor den Wahlen gesehen, sind die Demokraten selbst mit ihrer Unfähigkeit, eine Strategie zur Beendigung der Kriege und zur nachhaltigen Entwicklung der bekriegten Region vorzutragen. Der Bericht der Baker-Kommission forderte eine radikale Umkehr. Eine Analyse der Sicherheitsdienste hatte schon im September das Scheitern der Afghanistan-Mission festgestellt, schon 2003, wird nun bekannt, warnte ein Pentagonbericht, daß der damals vorbereitete Irakkrieg die Potenz habe, die weltweite Unterstützung für den politischen Islam und terroristische Aktivitäten zu fördern. Rumsfeld mußte nun gehen – und die Truppenstärke im Irak soll jetzt erhöht werden.
Wir haben allen Grund, die amerikanische Entwicklungen reflektierende Politik der deutschen Regierung aufmerksam zu verfolgen. In den USA wird die Politik außerordentlicher Beschränkung der Rechte Beschuldigter im Antiterrorkampf fortgesetzt und in neue Gesetze gegossen. Hier in Berlin wird der Versuch erneuert, Kriegseinsätze aus der Zuständigkeit des Parlaments herauszulösen und eine Rolle des Militärs im Innern durch das Erklären von Terroristen zu Kriegsgegnern festzuschreiben. Indem die USA im September zwölftausend Soldaten, also nicht die zehntausend Angehörigen der Sondereinheiten, dem NATO- Kommando unterstellten, unternahmen sie einen wesentlichen Schritt hin zu dem Ziel, das NATO-Kommando über ganz Afghanistan auszudehnen und die Vorbehalte einzelner NATO-Staaten, so auch Deutschlands, gegen den Einsatz ihrer Einheiten in ganz Afghanistan auszuhöhlen. Und schon werden hier Beteiligungen an Aktionen außerhalb des deutschen Einsatzgebietes diskutiert und vorbereitet. Das Ziel der US-Demokraten besteht sichtbar darin, mit ihrer Übertünchung der im Grunde alten amerikanischen Kriegspolitik es den Gegnern einer Ausweitung deutscher Kriegsteilnahme oder -unterstützung schwerer zu machen, sich durchzusetzen.
Inzwischen habe ich übrigens ein weiteres Buch gelesen: John Updikes Roman Terrorist (Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2006), eine Geschichte darüber, wie auf dem Boden der Ablehnung der perspektivlosen amerikanischen Kleinbürgergesellschaft terroristische Gedanken gedeihen. Im Roman gelingt es mit Hilfe abenteuerlicher Konstruktionen, den Attentäter umzustimmen und den geplanten Anschlag nicht auszuführen zu lassen.