von Gerd Kaiser
Die US-amerikanische Zeitschrift Forbes hat vor einiger Zeit an den Axel-Springer-Verlag die Lizenz für eine russischsprachige Ausgabe vergeben. Moskauer Statthalterin Springers ist Regine von Flemming. Chefredakteur von Forbes (Rußland) war bis Dezember Maxim Kaschulinski. Er zeigte Springer die kalte Schulter und legte unter Protest sein Amt nieder. Der Grund: Die fertige Dezemberausgabe, sie sollte ab 20. November ausgeliefert werden, wurde komplett eingestampft. Frau von Flemming versicherte sich, so Mitarbeiter von Forbes, zuvor in Berlin der Rückendeckung für ihre Zensurmaßnahme. Veranlaßt hatte diese Entscheidung eine andere Dame: Jelena Baturina. Sie sah sich auf dem Titel mit dem Satz »Mir ist Schutz garantiert« falsch zitiert. Jelena Baturina ist die erste und (bislang) einzige Milliardärin Rußlands.
Als sie in den neunziger Jahren begann, Geschäfte zu machen, handelte sie mit Plasteeimern und -schüsseln. Ihr Geschäfts- und Erfolgsgeheimnis waren jedoch nicht Eimer und Schüsseln, sondern das war der Moskaus Oberbürgermeister Jurij Lushkow. Inzwischen kontrolliert Jelena Baturina, Ehefrau von Lushkow, 25 Prozent des Baugeschehens in Moskau. Dort werden die Milliardenprofite aus dem steigenden Gas- und Erdölgeschäft in Immobilien angelegt.
Jelena Baturina gewinnt regelmäßig Ausschreibungen für Bauaufträge. Sie weiß immer, wo noch Grundstücke preiswert zu haben sind, und sie weiß immer, wann und wo diese billigen Grundstücke zu Bauland werden. Verträge zwischen Baturina (Bauunternehmen) und Lushkow (Stadtbehörden) kamen oft ins Gerede. Hochbezahlte Anwälte sorgten bisher regelmäßig dafür, daß Klagen und Kläger von der Justiz abgeschmettert wurden.
Die Zensur des Dezemberhefts von Forbes hat nach Ansicht des Vorsitzenden des Verbandes der Journalisten Rußlands, Igor Jakowjenko, ihren Grund darin, »daß die westlichen Konzerne in Rußland einmarschieren, um große Profite zu machen, und nicht, um für die Meinungsfreiheit zu kämpfen«.
Der Axel-Springer-Verlag habe Angst vor Frau Baturina und vor deren Gatten und deshalb das Dezemberheft zensiert. Dies komme »einer schwerwiegenden politischen Zensur« gleich. Die Herausgeber hätten »dem Druck der im Heft porträtierten Heldin nachgegeben, weil diese Einfluß auf den Erfolg westlicher Investitionen in Moskau hat«. Springer habe »den Verlust von Werbeaufträgen und Schwierigkeiten von Seiten der Behörden befürchtet. Letztere verfügen über vielfache schmerzhafte Instrumente. Sie haben Einfluß auf Mietverträge für Immobilien, Einfluß auf das Sortiment der Inhaber von Kiosken, auf das gesamte System des Pressevertriebs. Die mit der Geschäftswelt verquickten Moskauer Behörden sind in der Lage, jedem Verleger das Leben schwerzumachen. Und die großen Medienunternehmen wollen in Rußland große Profite machen. Deshalb vermeiden sie alles, was dabei stören könnte. Die westlichen Medienunternehmen schränken die Meinungsfreiheit in großem Umfang ein. Sie akzeptieren die Spezifik rußländischer Verhältnisse, auch die informelle Zensur von Seiten der Machthaber.«
Verlassen wir Moskau und begeben wir uns nach Böhmen, nach Karlsbad. Hier kurte auch mehrmals, zuletzt im Frühherbst 1875, ein »Privatier« namens Karl Marx, Verfasser einer voluminösen Schrift mit dem knappen Titel Das Kapital. Seine Büste steht noch heute am Ausgang der Sadova, einer Prachtstraße im exklusiven Kurviertel. Hier wird neben etwas Deutsch allüberall Russisch gesprochen und vor allem russisch annonciert. Im Angebot sind Immobilien en masse. Tschechisch ist selten geworden.
Nachdem es 1968 mit den russischen Panzern nicht geklappt hatte, scheint es im Zuge der politischen »Wende« mit Geld besser zu klappen. Zumindest das Kurviertel zwischen dem Imperial und der Sadova ist fest in russischer Hand, in der Hand »neuer Russen« vom Typ der Madame Baturina und des Herrn Genossen Lushkow. Dieser besitzt unter anderem in der Sadova zwischen dem Nobeletablissement Excelsior und dem Parkhotel gegenüber dem Bristol ein Refugium mit dem traulichen Namen Moskovsky dvur (Moskauer Hof). Auch ein Oberbürgermeister ist nur ein Unternehmer, Lushkow einer der vielen neuen Russen, die in Karlsbad investieren.
Der Privatier Marx schrieb seinem Freund Frederyk Engels und dessen im wahrsten Sinne des Wortes Busenfreundin, der »Madame Lizzy«, 1875, der Russe Lawroff habe ihm »einen dicken Band« »über die Funktionen des Staates in der Zukunft« geschickt, den zu lesen er »jedenfalls auch auf die Zukunft vertagt« habe. Marxens Brief schließt: »Es wimmelt hier von Russen.« Diese vor dreizehn Jahrzehnten getroffene Feststellung paßt wie die rußländische Faust auf tschechische Auge auch heute noch – oder schon wieder. Sie bestätigt im übertragenen Sinne auch den historischen Schlachtruf, der auf die Jahrzehnte zurückgeht, in denen es schon einmal in Karlsbad vor Russen wimmelte: Rache für Sadova.
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