von Holger Politt, Warschau
In den zurückliegenden Jahren kümmerte sich in Polen zumeist die rechte Seite mehr um Nebensächliches. Mit Erfolg, wie mittlerweile zu vermelden ist, zum Beispiel im Falle Lech Kaczyńskis, der bereits als Warschaus Stadtoberhaupt kräftig bemüht war, sich Sporen zu verdienen. Die feierliche Einweihung eines Museums des Warschauer Aufstands im Sommer 2004 war ein Erfolg mit Ansage, hatte Kaczyński doch bei seinem Amtsantritt Ende 2002 die Vollendung und die Einrichtung dieses Baus zur absoluten Ehrensache seines Engagements in der Hauptstadt erhoben.
Nachdem er im vergangenen Jahr Präsident des gesamten Landes geworden war, genügten ihm wenige Pinselstriche, um das Gedenken an den blutigsten städtischen Aufstand im durch Hitlerdeutschland okkupierten Europa noch mehr auf seine eigene Linie zu trimmen. Die Niederlage der Aufständischen, die sich in der Zahl von mehr als zweihundertausend Todesopfern auf Warschauer Seite tragisch manifestiert, habe den nahezu reibungslosen Übergang von der braunen zur roten Diktatur besiegelt, unter der Ostmitteleuropa nach Kriegsende über vier Jahrzehnte lang gelitten habe.
Nach Jalta hätten sich Warschaus Untergrundkämpfer und die Bewohner der Stadt für die Rettung Europas im August 1944 einer Aufgabe gestellt, deren Erfüllung auch wegen der ausbleibenden, so sehnsüchtig erwarteten Hilfeleistung durch die westlichen Alliierten zum tragischen Untergang fast der gesamten Stadt geführt habe. Man könnte beinahe glauben, es habe die vielen gelungenen Versuche einer schonungslos kritischen Würdigung des Warschauer Aufstands in der Emigration und in Volkspolen gar nicht gegeben.
Nunmehr hat auch Roman Dmowski (1864–1939) sein Monument – sinnfälligerweise an der Warschauer Adresse Am Scheideweg. Der Vater des polnischen Nationalismus und – im Jahre 1911 – Organisator eines Boykotts jüdischer Unternehmen hatte einen national homogenen und einkonfessionellen – katholischen – Staat angestrebt und war damit zum politischen Gegner von Józef Piłsudski geworden, der einen multinationalen und multikonfessionellen Bundesstaat hatte errichten wollen.
Mit Hut ziemliche fünf Meter hoch, ragt der schüchtern-nachdenkliche Herr, beiläufig die Zeitung haltend, in die Höhe. Als Dmowski sich anschickte, den sich in die Tradition der Nationalaufstände des 19. Jahrhunderts stellenden Józef Piłsudski herauszufordern, geißelte er den Hang zur Romantik als die größte Schwäche im politischen Handwerk der Polen. Insofern hat das Denkmal schon fast wieder etwas Kontrapunktisches zum Kaczyński-Museum, soll doch dort unterschwellig die Wiederauferstehung des im Herbst 1944 untergegangenen Geistes von Warschau in der ersten Solidarność-Bewegung von 1980/81 gefeiert werden. Daß diese Bewegung dann in der Lesart heutiger regierungsseitiger historischer Politik erst wieder ab Herbst 2005 zu ihrem vollen moralischen Recht kommen sollte, steht auf einem anderen Blatt.
Nicht, daß die Einweihung des Dmowski-Denkmals den Kaczyński-Brüdern ein sehr großes Kopfzerbrechen bereitet, aber trotzdem ist sie für sie, die für sich ja die Piłsudski-Tradition reklamieren, ein nicht ganz einfaches Ereignis symbolischer Politik. Man geht auf gefällige Distanz und weiß den kleinen Koalitionspartner, die Mannen der Liga der Polnischen Familien, um so inniger am Denkmal kleben. Für deren Chef und Bildungsminister Giertych ist Roman Dmowski die politische Vaterfigur. Wer im Spätherbst 2004 vom rechten Personal polnischer Politik nicht auf dem Maydan zu Kiew mit orangefarbigem Schal gesichtet werden konnte, gehört wie Giertych zur Schar der Dmowski-Jünger.
Während Piłsudski nach 1918 die Zukunft des wiedererstandenen Polens eng gekoppelt an eine nicht zu Rußland gehörende Ukraine sah, plädierte Dmowski für das Gegenteil: Alles Engagement im Osten führe unweigerlich zu einer Schwächung des Nationalstaats, den die Polen bräuchten, denn die große Herausforderung werde nicht der Vielvölkerstaat Rußland, sondern der Nationalstaat Deutschland sein.
Nationale und ethnische Minderheiten würden die innere Festigkeit des neuen Polens zusätzlich belasten, weshalb vor allem nach Osten hin eine sinnvolle Begrenzung eigener Ansprüche zu erfolgen habe. Die Konsequenz seines nationalistischen Ansatzes hatte Dmowski schon früh auf offen antisemitische Positionen geführt, denn dem jüdischen Bevölkerungsteil, der in vielen Kleinstädten die Hälfte und etwa in Warschau und Łódź um die dreißig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, empfahl er eine »zionistische« Lösung, die Auswanderung wahlweise nach Nahost oder Madagaskar. Roman Giertych, einmal befragt, ob Dmowski mit solchen Positionen denn Mitglied der Liga der Polnischen Familien hätte werden können, antwortete gewieft: Natürlich nicht! Doch wer sage denn, daß Dmowski nach den uns zu Teil gewordenen Erfahrungen der Geschichte seine anrüchigen Positionen nicht selbst korrigiert hätte? Also wäre er wohl doch Mitglied.
Andrzej Walicki, bester Dmowski-Kenner und Liberaler ohne Fehl und Tadel, plädiert bereits seit langem für einen möglichst sachlichen und unaufgeregten Umgang mit Dmowski. Einen Faschisten oder Nationalsozialisten nennt er ihn wohlweislich nicht. Doch einsichtige Gründe gegen eine in Stein gehauene öffentliche Ehrung gebe es zur Genüge. Er spricht sich gegen eine Tabuisierung aus, verwehrt sich aber strikt jeder falschen oder instrumentalisierten Beweihräucherung. Doch da nun das Tor aufgestoßen ist, bleibt nur, auf die List der Vernunft zu setzen.
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