von Holger Politt, Warschau
Wie alle ernstzunehmenden Intellektuellen war er beizeiten an stürmischen Gegenwind gewöhnt. Und wie alle ernstzunehmenden Intellektuellen folgte er dem Wahlspruch Dantes und zog konsequent seiner Wege. Er zählt zu den letzten Vertretern marxistischer Philosophie in seinem Heimatland. Daß es im Lande Rosa Luxemburgs so nicht bleiben muß, dafür bürgt sein Lebenswerk. Adam Schaff starb Mitte November 93jährig in Polens Hauptstadt.
Kurz nachdem er zur Welt kam, ging das Europa des 19. Jahrhunderts mit seinen Glanz- und all den Schattenseiten inmitten der Greuel, die damals schnell, aber treffend »Großer Krieg« genannt wurden, unter. Als ein Ergebnis dieses Krieges erstand sein Heimatland als ein selbständiger Staat zwar wieder, sollte aber 1939 nach dem Willen zweier Diktatoren als »Mißgeburt von Versailles« für immer von der Bühne der Geschichte getilgt werden. Obwohl der eine von beiden sich verrechnete, siegte er dennoch an der Spitze seiner Völker und mit den weltweiten Verbündeten zusammen – Gott sei dank, denn dieser Sieg brachte Polen die wie auch immer zu interpretierende Rettung.
Für das Ostjudentum aber gab es sie nicht mehr, es war in einem Akt beispielloser Barbarei, die teuflisch genau geplant war, faktisch ausradiert worden. Adam Schaff gehörte zu den Geretteten, mußte seine Geburts- und Heimatstadt Lwów (heute Lviv) aber für immer verlassen. In der Sowjetunion gelang es ihm während des Krieges, die eingeschlagene wissenschaftliche Laufbahn fortzusetzen. Im befreiten Polen wurde er an den Hochschulen des Landes schnell zu einem der wichtigsten Anwälte marxistischer Philosophie – zunächst in Łódź, dann nach dem Wiederaufbau in der Hauptstadt.
Unter Gomul~ka stieg er zu einem der bekanntesten Gesellschaftswissenschaftlicher des Landes auf, um dann inmitten der Machtkämpfe des 68er Jahres von offizieller Seite fallengelassen zu werden. Wer genauer hinter die Kulissen blickte, entdeckte die Fratze des Antisemitismus. Schaff emigrierte und wurde zu einem unbestechlichen Analytiker, Anfang der achtziger Jahre veröffentlichte er seine berühmte Kritik der kommunistischen Bewegung, die in den DDR-Bibliotheken in Giftschränken eingelagert wurde. Nur wenige vermochten zu verstehen, daß auch das ein Mosaikstein der nicht mehr zu lösenden Krise jenes Systems war, das sich zum Synonym für den Sozialismus schlechthin erheben mußte.
Anders als viele Kollegen unterließ Schaff es, im nachhinein den Zustand der Sowjetunion zum eigentlichen Hemmnis für die Entwicklung der kleineren mitteleuropäischen Verbündeten und zur Ursache des Zusammenbruches zu verklären. Für ihn waren diese Länder von einer Kriegsbeute zu einer nicht mehr verkraftbaren Belastung geworden. Er redete Klartext, dachte stringent und verlangte nicht nach Schuldigen, die in der nun zur Debatte stehenden Sache ohnehin nur unbedarft aussehen konnten. Die Zeitenwende von 1989/90 verstand er als einen Auftrag, es selbstverständlich noch einmal und selbstverständlich ganz von vorn zu versuchen.
Gute Leute sind, wie Brecht den Hacks einst wissen ließ, überall gut. Also sollen hier und jetzt die Schriften Adam Schaffs, die in den deutschsprachigen Ländern immer die nötigen Verleger fanden, ausdrücklich empfohlen sein. Die Zukunft hieß ihm Sozialismus, ganz logisch bei einem, der nach Herz und Verstand sich den radikalen Sozialisten zurechnete. Wer über einen Sozialismus im 21. Jahrhundert nachdenken möchte, kommt an Adam Schaff einstweilen nicht vorbei.
Adam Schaff: Mein Jahrhundert. Glaubensbekenntnisse eines Marxisten, Karl Dietz Verlag Berlin, 318 Seiten, 18 Euro
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