Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 16. Oktober 2006, Heft 21

Amerikas Geniestreich (3)

von Heerke Hummel

In den beiden vorigen Ausgaben wurde gezeigt, wie die amerikanische Weltherrschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg den US-Dollar im Sommer 1971 in die Krise gestürzt und das kapitalistische Weltwährungssystem zerrüttet hatte. Durch die bis dahin für unmöglich gehaltene Abschaffung der Golddeckung der Währung beruht seitdem aller Handel allein nur noch auf dem allgemeinen Vertrauen und der Hoffnung, daß man mit diesem Geld wie bisher auch künftig kaufen kann und notfalls »der Staat« die Sache schon richten werde.

Dieses Vertrauen ist immer noch vorhanden. Es gibt keine andere Möglichkeit, als mit den papiernen Scheinen wie bisher zu handeln, denn es ist kein »besseres« Geld mehr in Umlauf. Die Weltwirtschaft reagierte auf ihre Weise. Der Aufhebung der Golddeckung des Dollars folgten rasch die Beseitigung der festen Wechselkursrelationen und die Aufhebung der Einschränkung von Kapitalbewegungen. Ein Land nach dem anderen sah sich unter dem Druck der internationalen Märkte gezwungen, die nationalen Kontrollen aufzuheben. Eine Reihe von verlustreichen Stürmen im internationalen Finanzsystem folgte, die von Mal zu Mal heftiger ausfielen, aber durch internationale und zwischenstaatliche Absprachen und teilweise massive Eingriffe der Finanzbehörden immer wieder beigelegt werden konnten. Japan-, Mexiko- und Asienkrise gehörten zu den wichtigsten Meilensteinen dieser Entwicklung.
Mit zunehmendem Alter schwankt die bürgerliche Welt mehr und mehr zwischen dem Bedürfnis, der Freiheit der privaten Eigentümer keine Grenzen zu setzen, also die staatliche Einflußnahme auf die Wirtschaft zu beschränken, und dem Verlangen, sich ihrer gerade zu bedienen, wenn es darum geht, die ökonomischen Verhältnisse und vor allem die Kapitalverwertung zu sichern. Bereits in den zwanziger Jahren beklagte der österreichische, später in die USA emigrierte Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises eine zunehmende »Sozialisierung«, die er in der Beschneidung privater Eigentumsrechte witterte und die soweit ginge, daß schließlich vom Eigentum nur noch der leere Name bliebe, der Unternehmer aber auf die Stellung eines am Ertrag beteiligten Angestellten herabgedrückt werden würde.
Die Maßnahmen von 1971 nun betrafen nicht nur die Rechte privater Geld- beziehungsweise Kapitalbesitzer, sondern veränderten direkt die ökonomischen Sachverhalte und Beziehungen, auch wenn dies gar nicht beabsichtigt war und man sich dessen bis heute nicht in vollem Maße bewußt geworden zu sein scheint. Denn mit der endgültigen Verwandlung des Geldes aus einer Ware (Gold) in ein reines Arbeitszertifikat wurde der Herausgeber dieses Geldes, also letztlich der Staat, zum Schuldner gegenüber jedermann, der dieses Geld besitzt. Er, der staatliche Herausgeber, trägt die letzte Verantwortung dafür, daß dieses Papier seine »Geldfunktion« erfüllt und mit ihm Waren nach Bedarfslage gekauft werden können, kurz, daß der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß funktioniert.
Die Wirtschaft ist keine Privatsache mehr, sondern öffentliche Angelegenheit, und die Politik ist verpflichtet, sich ihrer anzunehmen. Nicht um »Vergesellschaftung« geht es heute mehr, sondern um eine den Erfordernissen gerecht werdende Wirtschafts- und Finanzpolitik – in welchen Organisationsformen und Dimensionen auch immer. Diese »Bestätigung für geleistete Arbeit« postuliert einen staatlich sanktionierten Anspruch auf das geschaffene Produkt entsprechend der gegebenen Arbeitsmenge. Das Produkt selbst hat so seinen privaten Charakter verloren, ist vergesellschaftet worden.
Mit dem Beschluß des USA-Präsidenten aus dem Jahre 1971 wurde also das Kapital enteignet, ihm sein privater Charakter genommen; und zwar weltweit – das gilt zumindest für jene Währungen, die vom Dollar als Leitwährung abgeleitet waren und nun ebenfalls ihre »goldene Basis« verloren hatten. Eine weltweite Veränderung der Produktionsverhältnisse wurde vollzogen.
Karl Marx hatte dies in seiner Kritik des Gothaer Programms mit den Worten angekündigt: »Womit wir es hier zu tun haben, ist eine … Gesellschaft, … wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert … und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat … soviel heraus, als gleichviel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.«
Auf den ersten Blick scheint angesichts der heutigen Realität dieser Vergleich absurd zu sein. Doch Marx konnte nicht ahnen, daß die Muttermale der alten Gesellschaft – besonders die bis zur sinnlosen Selbstzerstörung reichende Gier nach Geld und Profit – sich einmal als Pestbeulen und Krebsgeschwüre der menschlichen Gesellschaft erweisen würden.