von Heerke Hummel
In der vorigen Ausgabe wurde dargelegt, wie die amerikanische Weltherrschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg den US-Dollar im Sommer 1971 in die Krise gestürzt und das kapitalistische Weltwährungssystem zerrüttet hatte.
Zwar war schon seit geraumer Zeit für den September 1971 eine Tagung des Internationalen Währungsfonds geplant, auf der über einen Vorschlag der USA beraten werden sollte, »die Bandbreite, innerhalb der die Währungen gegenüber dem Dollar schwanken dürfen, von bisher ein auf drei Prozent beiderseits der Paritäten zu erweitern«. Doch für solche Reförmchen, über die man sich zudem noch nicht einmal geeinigt hatte, war es Mitte August bereits zu spät.
Angesichts der Dramatik der Situation blieb Präsident Nixon nichts anderes übrig, als dem Vorschlag seines Beraters Paul A. Volcker und anderer zu folgen und drastische Maßnahmen – zu denen neben der Aufhebung der Goldkonvertibilität des US-Dollars auch ein Lohn- und Preisstopp sowie Handelsrestriktionen gehörten – zu ergreifen, die von Kommentatoren als »Jahrhundertvertragsbruch der USA« qualifiziert wurden und bis zu ihrer Verkündung am 15. August 1971 für alle Welt »undenkbar« waren. Viel weiter reichten die öffentlichen Einschätzungen nicht. Die neuen wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen der amerikanischen Regierung hätten in der ganzen Welt eine fast totale Verwirrung ausgelöst, hieß es in Zeitungsberichten.
Wegen der Unsicherheit über die Zukunft des Dollars und der übrigen Währungen wurden an nahezu allen großen Finanzzentren die Devisenbörsen geschlossen. Ebenso war der internationale Goldhandel »von größter Unsicherheit überschattet« – die Preise stiegen auf bis zu 48 Dollar je Unze –, zumal mit dem Londoner Devisenmarkt auch die dortige Goldbörse geschlossen blieb.
Nach Meinung der führenden Währungspolitiker war die nun doch eingetretene »undenkbare« Situation so zu interpretieren: »Da der Dollar zwar nicht de jure, aber doch de facto vom Gold völlig gelöst ist, ist erstens für die anderen Währungen die Bezugsbasis entfallen, und zweitens können sich die USA nicht mehr auf ihre Befreiung von der Interventionspflicht an den Devisenmärkten berufen. Der Dollar hat seine Vorzugsstellung eingebüßt …, er ist vogelfrei.«
Die Welt des Kapitals interessierte natürlich vor allem die Frage, ob Nixon vor der Protektionisten-Lobby in die Knie gegangen war und es zu einem Abfall zum »Neo-Dirigismus« kommen würde, der die Freiheit des Kapitals beschränkt. Nüchterner betrachteten deutsche »Konjunkturforscher« die Angelegenheit. Sie sahen »keinen Anlaß für Sofortmaßnahmen«. Im Gegenteil: Die Dämpfung der Konjunktur, die von den neuen Kursverhältnissen ausging, sahen sie eher als erwünscht an und bewerteten sie als einen »wertvolle(n) Beitrag zur deutschen Stabilitätspolitik«. Bundesfinanzminister Karl Schiller zeigte sich erschreckt – »von der gegenwärtigen Tendenz, physische Kontrollen als Vademecum anzusehen und das Kräftespiel des freien Marktes zu opfern«. In solcherlei Statements erschöpfte sich im wesentlichen die ökonomische Philosophie über den amerikanischen Präsidentenbeschluß.
Drei Jahrzehnte später rief Georg P. Christian in einem Aufsatz mit dem Titel Vom kommenden Sturz des Dollarkapitals den amerikanischen Coup ins Gedächtnis und seine gesamte Bedeutung ins Bewußtsein. Mit dem Aufkündigen des Abkommens von Bretton Woods, schrieb er, nötigte die Regierung der Vereinigten Staaten der gesamten Welt(-wirtschaft) einen Dollarstandard ohne jede Golddeckung auf. Seit diesem Tag sei jeder einzelne Dollar von zig Billionen in den USA und anderswo angelegten oder nach Anlage suchenden Buchgeldes in der US-Währung ein Zahlungsversprechen und ein Anspruch auf realwirtschaftliche Güter und Erträge aus der Nationalökonomie der USA.
Zur Erläuterung: Nominell lag das Gross Domestic Product Ende des Jahres 2000 bei zehn Billionen Dollar. Kein Problem, so scheint es, wenn man dieser Zahl die 26 Billionen Dollar Verschuldung gegenüberstelle: nur das Zweieinhalbfache. Pikant werde der Vergleich aber erst dann, wenn man nach der Zahl schaut, die an Stelle der Goldreserve von 1971 die Solvenz zur Verschuldung abgeben müßte: die Gewinne der Unternehmen (ohne den Finanzsektor). Und die betrug im Jahre 2000 blasse 550 Milliarden Dollar. Die Verschuldung der Vereinigten Staaten war also, bemerkte G. P. Christian, Ende 2000 zu etwas mehr als zwei Prozent von der nominellen Mehrwertproduktion in der amerikanischen Wirtschaft als Solvenz gedeckt. Und für die Zukunft erwartete er noch geringere Werte.
Doch abgesehen davon – die USA entledigten sich 1971 jeglicher finanziellen Verpflichtung. Es war ein genialer finanztechnischer Trick zur Entschuldung des amerikanischen Staates beziehungsweise seiner Bank. Die zig Billionen in der Welt herumvagabundierenden Dollar repräsentieren überhaupt keine bestimmte Wertmasse mehr. Waren und Leistungen, die für dieses Geld einmal erworben beziehungsweise verkauft wurden, sind längst verbraucht. Und wer dieses Geld heute besitzt, hat nur noch »Ansprüche« in der Hand. Doch wem gegenüber eigentlich? Niemand in der Welt ist oder hat sich verpflichtet, seine Waren und Leistungen gegen diese Scheine und schon gar nicht in einem bestimmten Verhältnis zu verkaufen.
Mit den übrigen Währungen ist es seitdem übrigens nicht besser bestellt. Aller Handel beruht nur noch allein auf dem allgemeinen Vertrauen und der Hoffnung darauf, daß man mit diesem Geld auch künftig wie bisher kaufen kann und notfalls »der Staat« die Sache schon richten werde – aller vorgeblichen Ablehnung staatlichen Dirigismus’ zum Trotz.
Wird fortgesetzt
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