von Kurt Merkel
Der erste Jahrestag des Terroranschlags in London liegt hinter uns, Nine Eleven wird in Kürze schon fünf Jahre alt. Terror in Afghanistan und im Irak gehört zum Alltag. Und während ich dies schreibe, rücken israelische Truppen im Gazastreifen und im Libanon weiter vor, die Entführung israelischer Soldaten zu rächen. Das Thema erobert auch die Literatur, die deutsche Übersetzung von John Updikes neuestem Roman mit dem Titel Terrorist ist für August angekündigt. Vor mir liegt ein soeben erschienenes Buch: Mahmood Mamdani: Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors.
Enttäuscht dürfte sein, wer darin etwa schlüssige und rasch zu verwirklichende Programme zur Überwindung des Problems erwartet. Den USA, die als Hauptverursacher ausgemacht werden, wird im letzten Satz des Buches gesagt: »Amerika kann nicht die ganze Welt besetzen. Es muss lernen, in der Welt zu leben.« Und zu einer Lösung des Nahostkonfliktes heißt es: Die »eigentliche Frage in Israel und Palästina (ist) nicht die, ob ein, zwei oder zehn Staaten entstehen sollten, sondern wie irgendeine Staatlichkeit auf gleichberechtigter Bürgerschaft aller, die dort leben, begründet werden kann.«
Ausgangspunkt von Mamdanis Überlegungen zur Ursache des islamischen Terrorismus ist die Kritik am untauglichen Versuch, die Antwort in einem Kulturdiskurs zu suchen, der letztlich auf die Feststellung einer ethnisch oder religiös bestimmten Unfähigkeit der Moslems oder der Araber zur Teilhabe an der Moderne gerichtet ist, von der die Anwendung von Gewalt ausgehe. Mamdani setzt sich mit Hauptvertretern dieser Kulturtheorie und ihren Thesen ausführlich auseinander. Im Gegensatz zu deren Auffassung versteht er Gewalt als ein konstituierendes Element der westlichen Moderne, in der die Bereitschaft, für eine Sache von höherem Wert zu sterben und zu töten, moralisch hoch bewertet wird und wo sogar der Genozid etwa in den Kolonialkriegen als biologisch oder zivilisatorisch notwendig verstanden wird. Auffällig sei dabei der anhaltende Versuch, einer historischen und politischen Untersuchung der Gewalt und ihres Verhältnisses zur Moderne auszuweichen und statt dessen religiös oder moralisch mit der Einführung der Kategorie des Bösen zu argumentieren. So löse das offizielle Amerika weiterhin die Ereignisse vom 11. September aus jeglichem historischen und politischen Kontext, um einen Kreuzzug gegen die bösen Moslems zu begründen. Gute Moslems müssen ihr Gutsein beweisen, indem sie sich dem Kreuzzug anschließen.
Als weiteren Ausgangspunkt betrachtet Mamdani den politischen Islam, der nicht von den religiösen Gelehrten, sondern von politischen Intellektuellen mit ausschließlich weltlichen Anliegen entwickelt worden, ursprünglich auf Säkularisierung und auf Reformen innerhalb des Islam gerichtet gewesen sei und sich erst im Übergang zur postkolonialen Zeit radikalisiert habe. Die Grunddebatte um diesen radikalen politischen Islam sei die um den nach außen gerichteten, sogenannten kleinen Dschihad, der eben kein Heiliger Krieg gegen die Ungläubigen, sondern ein notwendiger Kampf um die Herausbildung des islamischen Staates auf dem Weg in die Moderne sei. Erste Hauptthese Mamdanis ist nun, daß dabei entstandene extreme religiöse Vorstellungen nicht notwendig zu Terrorismus geführt haben, sondern daß der Übergang dazu aus politischen Konstellationen hervorgegangen ist.
Die sieht der Autor im wesentlichen in der Entwicklung neuer Taktiken der USA während des Kalten Krieges nach ihrer Niederlage in Indochina. Mit der Festlegung der Nixon-Doktrin, asiatische Jungs müssen asiatische Kriege führen, wurden Stellvertreterkriege zur Zurückdrängung nationaldemokratischer und sozialistischer Bewegungen geführt, die sich dadurch auszeichneten, daß sie vom CIA organisiert wurden, Terror aus Machtkalkül eingesetzt wurde, und die Finanzierung weniger aus öffentlichen Mitteln erfolgte als aus der Herstellung und Vermarktung von Drogen. Im Süden Afrikas ging der CIA schließlich dazu über, terroristische Bewegungen zu unterstützen, die nichtmilitärische, »weiche« Ziele in von der Regierung beherrschten Gebieten bekämpften, dort die Bevölkerung aushungerten, Leben unmöglich machten. Die USA führten nun also über ihr konstruktives Engagement weithin privatisierte Konflikte niederer Intensität im Zuge ihrer Roll-back-Strategie.
Mahmood Mamdani, einer der führenden amerikanischen Kolonialismus- und Afrikaforscher, Professor an der New Yorker Columbia University, legt mit diesem Buch zwei verdienstvolle Studien vor. Die eine ist eine umfassende Geschichte des politischen Islam, seiner führenden Persönlichkeiten, Organisationen, Richtungen und deren Rolle in den verschiedenen muslimischen Ländern. Dabei wird herausgearbeitet, wie islamischer Terrorismus aus extremen religiösen Vorstellungen und dem Selbstverständnis einer Avantgarde hervorgegangen ist, die meinte, keine Rücksicht auf die Interessen der muslimischen Bevölkerungen nehmen zu müssen.
Die zweite Studie ist eine Geschichte der verdeckten amerikanischen Kriege. Vor allem denen in Afrika geht Mamdani detailliert nach. Den Höhepunkt dieser Entwicklung sieht er in Afghanistan, wo die USA den politischen Islam zu einem verläßlichen Verbündeten entwickelten. Als Puffer gegen säkularen Nationalismus hatten sie schon früher, so in Indonesien, Pakistan oder Ägypten islamistische Bewegungen unterstützt, und Israel sowie die konservativen arabischen Regimes handelten ebenso. Aber der amerikanische Dschihad in Afghanistan habe zu einer neuen Qualität und neuen Ergebnissen geführt. In den vom pakistanischen Geheimdienst organisierten Ausbildungszentren entstanden die Lehre vom Dschihad ohne Dialog und die Sehnsucht nach einem Märtyrertod. Die Delegierung der Ausbildung und der Kampfführung auf nicht zentral geleitete Gruppen führte zum unabhängigen Handeln der Gruppen, zu einer Privatisierung des Krieges. Nach dem Abzug der russischen Truppen entstand so die Kette Bürgerkrieg – Taliban – Al Qaida. Die Ausbildung konzentrierte sich nun auf Kader, die weltweit eingesetzt werden können. Sämtliche Führer im internationalen islamistischen Terrorismus sind Afghanistan-Veteranen, sie bilden eine Avantgarde, die aber kaum in der Lage ist, lokale Ziele zu formulieren und die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen.
In den letzten Teilen seines Buches beschäftigt sich Mamdani mit dem Übergang vom Stellvertreterkrieg zur offenen Aggression und dem damit verbundenen Niedergang des internationalen Rechts. Es gelingt ihm, Zusammenhänge überzeugend darzulegen. Seine Schlußfolgerung ist klar: Der aus der Begegnung von amerikanischen Interessen mit radikalen islamistischen Vorstellungen entstandene politische Terrorismus kann nicht anders als politisch bekämpft werden. Die für das Entstehen der heutigen Lage hauptverantwortlichen Mächte USA und Israel müssen auch aus recht verstandenem Eigeninteresse ihre Politik einer grundsätzlichen Revision unterziehen und das Muster Rache gegen Rache durchbrechen.
Mahmood Mamdani: Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors, Edition Nautilus Hamburg 2006, 317 Seiten, 19,90 Euro
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