Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 12. Juni 2006, Heft 12

Kardinalfehler

von Gerd Kaiser

Kardinal wird man allein und ausschließlich dann, wenn man vom Heiligen Vater dazu berufen wird. So ist auch Stanislaw Dziwisz Kardinal geworden. Sein lebenslanger Freund Karol Wojtyla, vulgo Johannes Paul II., machte ihn, kurz bevor er das Zeitliche segnete, zum Kardinal.
Diesem Kardinal verdanken wir folgende Perle: »Ich erinnere mich beispielsweise, daß die verzweifelten Eltern eines kranken Jungen aus Großbritannien dem Heiligen Vater ein Telegramm schickten, in dem sie ihn baten, für ihren schwerkranken Sohn zu beten. Er liege auf den Tod darnieder, und die Ärzte sähen keine Möglichkeit ihn zu heilen. Wir gaben das Telegramm dem Heiligen Vater, und dieser betete in seiner Hauskapelle für das Kind. Nach einiger Zeit erhielten wir einen Brief der Eltern, in dem sie berichteten, daß ein Wunder geschehen, ihr Sohn gesundet sei. Angegeben war die genaue Tages- und Uhrzeit der Gesundung. Es erwies sich, es war genau die Zeit, in der der Heilige Vater für ihn gebetet hatte.« (Przekrój, 13/2006, Seite 20)
Von Wundern dieser Art ist tagtäglich auf Radio Maryja zu hören, einem in Torun stehenden Rundfunksender, den Pater Rydzyk gegründet hat und der in Polen eine ideologische Macht geworden ist. Zur Hausmacht des Paters gehören die sogenannten Mohair-Barette: ungezählte bigotte und militante Frauen vor allem, die durch ihre wundersame, nicht selten violett gefärbte Kopfbedeckung und die öffentliche Zurschaustellung ihrer Anhänglichkeit an den Pater und dessen Radio Maryja in Polen öffentlichen Druck ausüben. Psalmodierend marschieren sie dort auf, wo Pater Rydzik es wünscht.
Jüngst passierte etwas seltenes. Der Nuntius, Erzbischof Józef Kowalczyk, richtete »eine letzte Warnung« des Heiligen Vaters an die polnische Hierarchie, den militanten Pater fürderhin nicht mehr wild antisemitisch umsichschlagen zu lassen und statt dessen gezielter die weltweiten Kircheninteressen zu wahren. Man darf gespannt sein, wie der polnische Klerus, dessen Mehrheit hinter Rydzik steht, sich zwischen Papst und Pater sitzend verhalten wird.
Zensur ganz anderer Art übt die staatliche und die geistliche Obrigkeit im Zuge der Klerikalisierung Polens unter anderem dadurch aus, daß ab sofort bei Abiturprüfungen im Fach Religion eine Zensur erteilt wird. Die militant Klerikalen in Staat und Kirche können damit die aus ihrer Sicht schwarzen Schafe künftig leichter bei den Hammelbeinen erwischen. Sind sie doch bereits auf den ersten Blick bei der Vorlage ihres Abiturzeugnisses von den Lammfrommen (vielleicht auch nur Karrierebewußteren) zu trennen.
Andere Zensurbeispiele: Aus der bereits gedruckten Aprilnummer der monatlich erscheinenden Zeitschrift Sukces (polnische Schreibweise für »Erfolg«) wurde per Hand (mit Messer und Lineal) die Seite 18 entfernt; mehr als 100000 Exemplare wurden auf diese Weise Heft für Heft »gesäubert«. Auf der entfernten Seite hatte ein Beitrag von Manuela Gretkowska mit dem Titel Der diskrete Geschmack der Präsidialkanzlei gestanden. In diesem Feuilleton war es um die Gebrüder Lech und Jaroslaw Kaczynski gegangen. Karolina Korwin-Piotrowska, die Chefredakteurin der Zeitschrift, kann sich inzwischen neue Visitenkarten drucken lassen: Sie ist Chefredakteurin a.D.
Auch Fotoausstellungen fielen der Zensur zum Opfer: An der Lubliner Maria-Curie-Sklodowska-Universität zum Beispiel waren Porträts bekannter Persönlichkeiten Polens ausgestellt, die T-Shirts mit provozierenden Aufdrucken trugen: Ich habe nicht geweint, als der Papst verstarb (Rundfunkreporter Max Cegielski), Ich habe abgetrieben (Schriftstellerin Izabella Filipiak). Der Oberaufseher vom Zentrum für Jugendseelsorge, Pater Mieczyslaw Puzewicz, war ob dieser Bilder indigniert. Das ist sein gutes Recht, aber keineswegs sein Recht war es, für die Schließung der Ausstellung zu sorgen …
Provinziell-grotesk nahm sich auch im Stadtrat von Slupsk ein Zensurversuch von PiS-Abgeordneten aus. Sie wollten die dortige Puppenbühne veranlassen, das Stück Über die zwei, die den Mond gestohlen haben nicht zu zeigen – weil bereits die Kacynskis als Kinderdarsteller in einem populären Fernsehfilm mit diesem Titel gespielt hatten.
Wie in Polen zu sehen ist, bedarf es für den Kardinalfehler der Zensur keineswegs eines Kardinals, beflissene niedere Dienstgrade tun es auch. Und schließlich braucht es für Antisemiten im Land auch keiner Semiten, und damit sich Antikommunisten auszuleben können, sind keineswegs Kommunisten vonnöten.