von Hermann-Peter Eberlein
Seit der unseligen Pressekonferenz von Familienministerin von der Leyen, Bischöfin Käßmann und Kardinal Sterzinsky vom 20. April haben Politiker, Journalisten und vor allem Vertreter der Kirchen soviel Unsägliches zum Verhältnis von christlichen Normen und den Werten unserer Gesellschaft zum besten gegeben, daß einem davon schlecht werden kann – von Bischof Wolfgang Huber (im Spiegel) bis zu Provinzprälaten in Provinzblättern. Das Ärgerliche daran: Mindestens Intellektuelle wie Wolfgang Huber, als Heidelberger Professor ein integrer Mann, wissen es eigentlich besser.
Daß sie als Interessenvertreter ihrer Kirchen durch das Einhämmern ein und derselben Behauptungen auf Dauer Erfolg haben könnten, veranlaßt zu vier Klarstellungen: zum Verhältnis der Zehn Gebote zum Grundgesetz, zur Herkunft und zur Begründung der Idee der Menschenwürde und zur Bewertung des Gleichheitsideals.
Die Artikel des Grundgesetzes fassen im Prinzip die Zehn Gebote zusammen. (von der Leyen) Nein! Abgesehen vom verschiedenen literarischen Genus und von den disparaten Inhalten: Das Grundgesetz schöpft seine Legitimation aus dem Willen des Volkes, die Gebote dagegen stehen unter der Autorität einer Gottheit. Die juristisch nicht mehr herleitbare zentrale Norm des Grundgesetzes ist die Menschenwürde, die den Geboten vorausliegende Begründung ist eine historische Tat dieser Gottheit, nämlich die Herausführung Israels aus der ägyptischen Sklaverei. In beidem: Legitimation wie externem Anknüpfungspunkt, sind die Texte nicht kompatibel.
Die Begründung der Menschenwürde ist spezifisch christlich. (Huber). Nein! Den heute maßgebenden Begriff der Menschenwürde hat Giovanni Pico della Mirandola 1486 in seiner großen Rede De hominis dignitate konzipiert, und zwar auf neuplatonischer Grundlage und in bewußtem Gegensatz zur christlichen Vorstellungswelt. Letztere sieht den Menschen als Geschöpf Gottes und redet von seiner Sünde und seinem Elend; Pico aber versteht ihn als schöpferische Mitte der Welt und redet von seiner gottähnlichen Selbstbestimmung. Beides ist unvereinbar. Die aus der Schöpfungsgeschichte im 1. Mosebuch entnommene Idee der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die Huber als Anknüpfungspunkt der Menschenwürde zu nennen pflegt, haben Theologen meist mit großer Vorsicht verwendet, wenn es darum ging, etwas über die Gegenwart auszusagen. Zu Recht: Denn auf die Schöpfungsgeschichte folgt die Erzählung vom Sündenfall, die dem paradiesischen Zustand des Menschen ein Ende bereitet und überhaupt erst die Koordinaten festlegt, die die christliche Anthropologie bestimmen: Entfremdung und Todesverfallenheit, Elend und Erlösungsbedürftigkeit. Als Begründung des modernen Begriffs der Menschenwürde taugt der Gedanke der Gottebenbildlichkeit nicht – wer diese Ideen zusammenzwingt, wird beiden (und ihren historischen Umfeldern) nicht gerecht.
Nur die Religion erklärt, warum der Mensch seine Würde nie verlieren kann. (Huber). Nein! Zum einen ist Hubers Argument – was ich selbst erworben habe, kann mir auch wieder genommen werden, das von Gott Geschenkte aber nicht – unlogisch: Wieso eigentlich nicht? Auch ein Geschenk kann gestohlen werden. Welcher Dieb fragt nach der Herkunft dessen, was er stiehlt? Hubers Argument hätte nur Sinn, wenn das Geschenk gar nicht wirklich in das Eigentum des Beschenkten übergegangen ist: Nur was mir nicht gehört, kann mir nicht gestohlen werden … Zum zweiten: Die Begründung der Menschenwürde etwa in des Menschen Fähigkeit zur freien und vernunftgeleiteten Selbstbestimmung, also in seiner mindestens potentiellen Autonomie, taugt nicht schlechter als eine heteronome Herleitung dazu, die Unverlierbarkeit der Menschenwürde zu konstituieren – und ist dazu angemessener, weil dem geistigen Herkunftsklima gemäßer.
Die Gleichheit – égalité – wurzelt in christlichen Werten (Der Spiegel). Nein! Die großen Ideale der Französischen Revolution – liberté, égalité, fraternité – haben eine deutlich antiklerikale und antikirchliche Spitze. Die christliche Theologie redet von der Ungleichheit der Menschen. Als Beispiel mag die bedeutendste protestantische Dogmatik der Reformationszeit reichen, Calvins Institutio: Non enim pari conditione creantur omnes, sed alliis vita aeterna, aliis damnatio aeterna praeordinatur – denn mitnichten sind alle gleich geschaffen, sondern den einen ist das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorherbestimmt.
Was zu beweisen war. An zwei Stellen der bisherigen Diskussion freilich zeigt Professor Huber Zeichen von Einsicht und Selbsterkenntnis. Da etwa, wo er von der Selbstsäkularisierung der Kirchen spricht – die er freilich bedauert. Was jedoch, wenn genau diese Selbstsäkularisation ein zwingender und unumkehrbarer historischer Prozeß gewesen wäre, in Gang gesetzt unter anderem durch die Reformation? Oder, wenn Huber ein »persönliches Zeugnis« ablegt: »Ich wüßte … nicht, wie ich menschliche Freiheit begründen sollte, wenn ich selbst derjenige sein müßte, der dieser Freiheit hervorbringt.« Da ist er ehrlich. Huber wüßte nicht. Sartre schon.
Schlagwörter: Hermann-Peter Eberlein