Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 20. März 2006, Heft 6

Rosa Luxemburg

von Michael Reuter

Ein schmales Bändchen ist zu vermelden. Mit Texten von Rosa Luxemburg und einigen knappen Bemerkungen von Zeitgenossen und Nachgeborenen über sie sowie einer sehr dichten Einleitung.
Natürlich ist ein solches Buch ein Wagnis. Nur zu gut erinnern sich die Älteren an Sammelbände, mit denen der »Marxismus-Leninismus« kompakt, leicht verständlich und widerspruchsfrei unter die Leute gebracht werden sollte. Das hat schon Rosa Luxemburg an Karl Kautsky aufgeregt: daß er aus Marx den »Marxismus« gemacht hat. Und auch darum war sie ja später so wenig gelitten in KPD und SED.
Aber wie macht man es besser? Wie bringt man die Tiefe, die Widersprüchlichkeit, die so unglaublich verblüffende Heutigkeit – und auch: die Schreibkunst – der Luxemburg kurz, unterhaltend und gewinnend an die Leserschaft, ohne in die Fallen zu tappen, die da heißen Flachheit und Ikonenglanz? Der Herausgeber versucht es mit dem Artikel Im Asyl aus der Stuttgarter Zeitschrift Die Gleichheit von 1912, mit einem Brief aus dem Gefängnis an Sophie Liebknecht vom 24. Dezember 1917 und dem berühmten, unvollendet gebliebenen Manuskript Zur russischen Revolution, um das die Kämpfe bis in den Januar 1988 hinein gingen. Mehr nicht. Dazu wenige Sätze von Rosi Wolfstein, Paul Levi und Walter Jens. Und Zitate, die Fragen aufwerfen. Dieses von Fritz Heckert aus dem Jahre 1921 zum Beispiel: »In Artikeln und Manifesten versuchte Rosa Luxemburg, dem Proletariat den Sinn der Revolution klarzumachen … Aber wie viele Arbeiter und wie viele Soldaten verstanden Liebknecht und Luxemburg? Dunkel war es in den Soldatenhirnen.« Das ist alles in allem spannend, politisch brisant und anrührend.
Und es ist lesefreundlich gemacht: mit hilfreichen Fußnoten und kurzen biographischen Anmerkungen zu allen in den Texten vorkommenden Personen. Da kann sich auch zurecht finden, wer bisher noch keinen Zugang zum Thema gefunden hat. Und – natürlich – die eigene Anstrengung nicht scheut. Die hier aber wirklich Freude machen kann.
Im Weiterdenken fällt mir auf, daß auch die Zerrissenheit der Weltbühne in Sachen Luxemburg im Bändchen eine Rolle hätte spielen können. Als »blutige Rosa« hat sie der Stamm-Porträtist der Zeitschrift, Johannes Fischart, bezeichnet. »Aufs Konspirieren und Revolutionieren« – schreibt er, das Datum im Text ausdrücklich nennend, am 10. Januar 1919 – habe sie sich »seit jeher verstanden«, denn »sie müßte nicht aus Russisch-Polen gekommen sein, um nicht in der Schule politischer Minierarbeit etwas gelernt zu haben.« Und dann sei sie »hingegangen« und habe mit Liebknecht die Rote Fahne gegründet, »in der mit zügellosem, blutrünstigem Fanatismus tagtäglich die Massen aufgepeitscht« worden seien. Mit »Röslein, Röslein, Röslein rot: Deutschland steht in Flammen!« endet der feindselige Text, aber erst am 16. Januar – in der Nummer 3 des Jahrgangs 1919 – erreicht er die Öffentlichkeit. Da war die Gemeinte schon einen Tag tot, erschlagen von einem »Kommando« unter Führung des Waldemar Pabst, der – dies nun wieder ist im hier in Rede stehenden Bändchen vermerkt – noch 1962 in der Bundesrepublik Deutschland zu seiner Verteidigung erklären durfte, er hatte »den Eindruck« gewonnen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht seien »die geistigen Führer der Revolution«, und daraufhin »beschlossen, sie umbringen zu lassen«. Man »mußte«, gab Pabst weiter zu Protokoll, »den Entschluß fassen, vom Rechtsstandpunkt abzuweichen«, und er vertrete »auch weiterhin die Auffassung, daß dieser Entschluß auch vom moralisch-theologischen Gesichtspunkt durchaus vertretbar« war.
In Nummer 4 der Weltbühne vom 23. Januar 1919 setzt Arnold Zweig einen anderen Ton als zuvor Fischart. »Unvergeßlich als Typus« stehe »die Gestalt Rosa Luxemburgs in diesen Tagen«. »Sie war, sie ist die jüdische Revolutionäre des Ostens, die bis in jede Fiber antimilitaristische, der Gewalt feindliche, schließlich selbst der Gewalt verfallene, ein Leben lang kämpfende Trägerin der Idee.« Die deutsche Republik werde »Großes zu leisten haben, um dieser Toten« – Liebknechts und Luxemburgs – »wert zu sein«. Und in Nummer 21 vom 15. Mai 1919 schließt Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky seinen Bericht über den »Mordprozeß in Sachen Liebknecht und Rosa Luxemburg«, dem er den Titel Die lebendigen Toten gegeben hat, mit den schwurgleichen Sätzen: »Und eben, weil alle feinen Leute noch für den letzten Verbrecher und Rohling eintreten, wenn er nur Liebknecht totschlägt, und eben weil die schlechtesten Deutschen aufatmeten, als zwei Idealisten ermordet wurden, eben deshalb bewahren wir unsre Trauer und unsern Schmerz und vergessen nicht.«
Das Bändchen ist schmal. Die Anregung gelingt.

Rosa Luxemburg oder: Der Preis der Freiheit. Herausgegeben von Jörn Schütrumpf, Karl Dietz Verlag Berlin, 111 Seiten, 6,90 Euro