Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 6. März 2006, Heft 5

Lea Grundig

von Ursula Malinka

Was treibt Künstlerinnen, sich heute materiell einem Leben am Rande der Gesellschaft auszusetzen? Die meisten bildenden Künstlerinnen können von den Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Werke nicht leben, wie eine Expertise von Marlies Hummel zur wirtschaftlichen und sozialen Situation bildender Künstler, insbesondere bildender Künstlerinnen, ergab. Sie beruht auf einer Umfrage aus den Jahren 2004/2005. Demnach lagen zwar die durchschnittlichen Einnahmen aus dem Verkauf von Kunstwerken im Jahr 2004 bei rund 6900 Euro; aber bei über fünfzig Prozent derer, die diese Frage beantworteten, lag der Erlös unter fünftausend Euro. Ein nicht geringer Teil der Künstlerinnen lebte bis einschließlich 2004 von Sozialhilfe, nun gibt es nur noch ALG II, die Situation wurde dadurch weitaus prekärer.
Vor einhundert Jahren, am 23. März, wurde Lea Grundig unter dem Namen Lea Langer als Kind wohlhabender jüdischer Kaufleute in Dresden geboren. Zeichnerisch begabt und früh in Berührung mit bildnerischer Kunst in ihrer Heimatstadt begann sie an der Dresdner Kunstgewerbeschule ihre Ausbildung und trat nach zwei Jahren in die Dresdner Kunstakademie ein. Dort kam sie mit einer Gruppe junger Künstler in Kontakt, die neben ihrer Kunst auch Politik im Sinn hatten, die die Kunst nicht nur um ihrer selbst willen betreiben wollten. Einer von ihnen war Hans Grundig, dessen Bilder sie faszinierten und der sie als Mensch und Mann für sich einnahm. Unter seinem Einfluß interessierte sie sich für gesellschaftliche Probleme. 1926 trat sie in die KPD ein und heiratete ihn gegen den Willen ihres Vaters 1928.
Den wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen Ende der zwanziger Jahre ausgesetzt, ohne Unterstützung ihrer Eltern, arbeiteten und lebten sie als politisch engagierte Künstler in – Stube, Kammer, Küche – ihrer ersten Wohnung in der Melanchthonstraße 14. Sie lebten dort, wo sie mit ihrer Kunst wirksam werden wollten.
Daneben war auch ganz profane Parteiarbeit zu leisten. Lea Grundig beschreibt in ihrem autobiographischen Band Gesichte und Geschichte eine Aktion zum § 218. Sie hatte mit einigen Arbeiterfrauen ein selbst geschriebenes Stück zu dieser Problematik einstudiert: »Mit einfachen Worten traten Frauen auf und stellten sich selbst dar, sprachen aus, wie ihr Leben war und was sie bewegte. … Das waren Schauspielerinnen des großen Theaters, ›Not‹ genannt, und das Leben selbst hatte ihre Texte verfaßt.« Man erinnere sich an Die Weber in der Inszenierung des Dresdner Staatsschauspiels im vorletzten Jahr, mit Laiendarstellern, echten Arbeitslosen und deren verbalen Aggressionen.
Nicht mit einem Satz beschwert sich Lea Grundig über die materielle Dürftigkeit ihres Lebens, sie beschreibt diese lakonisch, machmal auch drastisch. Dennoch sahen sie sich nie als »arme Leute« – statt dessen spricht sie von ihrem Glücklichsein, weil sie so lebten, wie sie es für richtig hielten, weil sich Denken und Tun, Fühlen und Wollen im Einklang befanden. »Wir haben niemals den geringsten Neid empfunden, wenn wir Luxus und Eleganz sahen. Unser Leben war von uns gewollt. Wie viele Menschen können das von ihrem Leben sagen?«
Politische Aktivitäten, ihre Kunst und ihre jüdische Herkunft führten ab 1936 zu Verhaftungen, Verhören und Gefängnis. Im Dezember 1939 sitzt sie im Zug nach Prag, nach Wien, ist auf der Flucht. Nach einem dreiviertel Jahr in Bratislava beginnt die Irrfahrt per Schiff, zunächst auf der Donau, dann übers Mittelmeer, nach Palästina. Erst 1949 kann sie zurück nach Dresden. Sie wird an der dortigen Kunsthochschule Professorin, von 1964 bis 1970 ist sie Präsidentin, ab 1970 bis zu ihrem Tode 1977 Ehrenpräsidentin des Verbandes bildender Künstler der DDR.
Ihr künstlerisches Metier war die Graphik, vor allem lavierte Tuschezeichnungen, Kreidezeichnungen, Radierungen und Lithographien. Sie schuf künstlerisch bedeutende Graphikzyklen, deren Wert nicht sofort erkannt wurde, sie 1951 in der Formalismusdebatte sogar Angriffen aussetzte. Vornehmlich arbeitete sie gegenständlich und figurativ. Oskar Kokoschka meinte, daß sie die Gewalttätigkeit eines Max Beckmann, die Tragik der Kollwitz und die Volkstümlichkeit des Heinrich Zille in ihren Graphiken zusammenführe. Ein Bild- und Leseheft für die Kunstbetrachtung von 1970 gestaltet sie aus ihren persönlichen Erfahrungen und Ansichten heraus. Sie wollte und konnte Kunst und ihre Wirkung in der Gesellschaft, aber auch die Wirkung der gesellschaftlichen Zustände auf den Künstler nicht trennen. Diese Anschauungen spiegeln sich auch in ihrer Bewertung der modernen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie der Kunst der sechziger Jahre.
Die eingangs erwähnte Umfrage sagt nichts über die Intentionen der Künstlerinnen aus, doch darf von einem starken Bedürfnis nach künstlerischer Betätigung, nach Darstellung ihrer einmaligen Sicht auf die Welt ausgegangen werden. Sonst nähme keine die unsicheren Verhältnisse in Kauf.