Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 20. März 2006, Heft 6

Die Legende lebt

von Uli Brockmeyer

Es gibt Leute, bei denen scheut man sich, gewisse Begriffe zu verwenden. Kaum jemand würde wohl John Lennon einen Künstler nennen, denn das wäre stark untertrieben. Einer seiner Freunde nannte ihn ein Genie des Geistes, was aber wohl ein wenig übertrieben sein dürfte. Vielleicht findet sich gar kein Begriff, der sich für ein Künstler-Genie wie Lennon eignet.
Es gibt Leute, die noch viele Jahre weiterleben, als hätte es ihren Tod nicht gegeben. Als John Lennon vor fünfundzwanzig Jahren von einem offenbar Verrückten erschossen wurde, schien für alle, die ihn verehrten oder gar liebten, und für viele, die ihn mochten und respektierten, die Welt für einen Moment stillzustehen. Alle, die auf seiner Seite waren und auf deren Seite er sich gestellt hatte, verharrten jedoch nur für kurze Augenblicke in Trauer. Dann wurden die Platten wieder aufgelegt (für die Jüngeren unter den Lesern: Damals wurden Schallplatten noch auf den Plattenspieler gelegt …), man fertigte sich Tonband-Kopien an, um die Platten zu schonen, die noch zu Johns Lebzeiten entstanden und nicht selten im wahrsten Sinne des Wortes auch erstanden waren, und es gab im Kreise jener, für die er gespielt hatte, kaum eine Zusammenkunft, bei der nicht irgendwann wie selbstverständlich auch John zu Wort kam.
Man spielt John Lennon noch heute zu abertausend Gelegenheiten, und die Verehrung und der Respekt gegenüber dem Mann, der wahrscheinlich den größten Anteil am Entstehen und am Erfolg der Beatles hatte und hat, wurde inzwischen auf Jüngere übertragen, die erst geboren wurden, als er schon nicht mehr am Leben war.
Mit John Lennon sind wohl die meisten der witzigsten Begebenheiten der Geschichte der Beatles verbunden. Man sagt, er sei der einzige gewesen, der einigermaßen wußte, was die Jungs seinerzeit in Hamburg in den deutschen Texten gesungen haben. Und auch der Witz, die Ironie und die Originalität der Beatles-Filme sind vor allem ihm zu verdanken.
Nicht wenige verehren ihn wegen seines lockeren Lebensstils, wegen der Frauengeschichten, wegen seines Alkohol- und Drogenkonsums. Und diejenigen, die in ihm mehr sehen, sind immer wieder bereit, ihm auch seine Schwächen nachzusehen.
Lennon ist heute unvergessen, weil er sich selbst treu blieb. Er war ein Arbeiterjunge aus Liverpool, und trotz seines unermeßlichen Erfolges blieb er das offenbar bis zu seinem Ende. Sein Working Class Hero kommt ebensowenig aufgesetzt daher, wie Give Peace A Chance noch heute unverkrampft als eine der Hymnen der Friedensbewegung gesungen wird. Wegen seiner Haltung gegen den Vietnamkrieg der USA und folgerichtig gegen die damalige Regierung Nixon wurde er zum »subject« der Bespitzelung durch das FBI, das der Einwanderungsbehörde INS – mit Billigung von ganz oben – nahelegte, einen Vorwand zu finden, um John Lennon und seine Frau aus den USA auszuweisen. Von den rund dreihundert Geheimdokumenten, die seinerzeit angelegt wurden, sind noch heute einige unter strengem Verschluß.
Wer dieser John Lennon eigentlich war, wie man ihn in seiner gesamten Persönlichkeit erfassen und verstehen kann, wird wohl kaum jemals zu ergründen sein. Yoko Ono schreibt fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod, daß sie es noch immer nicht wagt, diesen Teil ihres Herzens zu öffnen, und daß sie nicht weiß, ob sie jemals dazu bereit sein wird.
Um so verdienstvoller ist es, daß Yoko Ono Freunde und Bekannte eingeladen hat, ihre Erinnerungen zu Papier zu bringen. Entstanden ist daraus ein Buch, das uns viele Facetten jenes Mannes aufzeigt, die wir zum Teil nicht kannten, zumindest nicht in diesem Licht. Yoko hat eine lange Reihe berühmter Namen versammelt, unter ihnen sind Joan Baez, Chuck Berry, James Brown, Ray Charles, Peter Gabriel, Dennis Hopper, Mick Jagger, Elton John, Paul Reiser, Carlos Santana, John Sinclair…
Wie eine Illustration dazu ist das Buch Die Jahre in New York, in dem der Fotograf Bob Gruen, der einer der engeren Freunde John Lennons war, zahlreiche Fotos veröffentlicht, von denen nicht wenige zum ersten Mal gedruckt wurden. Dieses Buch ist ein besonderes Geschenk für alle Freunde John Lennons, weil Gruen gleichzeitig seine Erinnerungen an seinen Freund dazu aufgeschrieben hat.

Yoko Ono: Erinnerungen an John Lennon, 280 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Klappenbroschur, 19,90 Euro; John Lennon: Die Jahre in New York, Text & Fotos von Bon Gruen, 176 Seiten, 200 Fotos, 39,90 Euro; beide Bücher Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin