von Axel Fair-Schulz, Fort Erie/Ontario
Es ist schon eine böse Ironie: Just zu einem Zeitpunkt, wo die Inkompetenz, Korruption und Ermüdung der US-amerikanischen Bush-Administration selbst für ihre doktrinärsten Apologeten sichtbar ist, wird ausgerechnet im liberalen Kanada mit den dortigen Tories ihr Zwergbruder gewählt. Nicht mit einer soliden Mehrheit, wohl aber mit dem Programm, Kanada in den Orbit und dann langfristig unter die kulturelle Hegemonie marktradikaler »Reformer« zu bringen und es im Sinne der Bushisten zu amerikanisieren. Woher kommen nun diese so »unkanadisch« wirkenden Konservativen unter Stephen Harper, und wie gelang es ihnen, im sozialstaatlich orientierten und moderaten Kanada Fuß zu fassen?
Seit fast dreizehn Jahren regieren auf kanadischer Bundesebene die Liberalen, eine auf Tony-Blair- und Gerhard-Schröder-Kurs liegende de facto sozialdemokratische Partei. Im Gegensatz zu den deutschen Schröderianern sind ihre kanadischen liberalen Cousins aber ausgesprochen erfolgreich im Konsolidieren des Staatshaushaltes. Niedrige Arbeitslosigkeit, beträchtliche Haushaltsüberschüsse und eine geringe Inflationsrate machten Kanada seit Regierungsantritt der Liberalen 1993 zum wirtschaftlich erfolgreichsten Land der G 8. Natürlich sind die Segnungen dieser Wirtschaftsleistung ungleichmäßig verteilt. Auch in Kanada gibt es eine ständig wachsende »Unterschicht«, verbunden mit Kinder- und Altersarmut. Doch ein Blick in große kanadische Städte wie Toronto, Montreal oder Vancouver und dann der vergleichende Blick in die von Ghettoisierung und Gewalt geplagten US-Zentren New York, Chicago oder Los Angeles genügt, um das auf größeren sozialen Ausgleich ausgerichtete kanadische Modell mit seiner universellen Kranken- und Rentenversicherung zu schätzen.
Zwar haben die Tories unter Harper inzwischen gelernt, ihre radikale Kritik am kanadischen Sozialstaat so zu verpacken, daß moderat-konservative Wähler nicht verschreckt werden, doch die Frage ist, ob es hier um Sein oder Schein geht. Denn die Ideologie der Führungsriege ist zutiefst am Gedankengut der sogenannten Calgary School ausgerichtet, die im von Ölmilliarden pulsierenden wirtschaftlich-kulturellen Zentrum von Alberta beheimatet ist.
Ähnlich der amerikanischen und von Ökonomen wie Friedrich August von Hayek und Milton Friedman geprägten Chicago School propagiert ihr kanadisches Pendant das Evangelium vom Laissez-faire-Kapitalismus, wo Adam Smiths unsichtbare Hand alles von selbst reguliert. Selten durchdringt die Empirie dieses oft tautologische Dogma, welches allerdings vom Heer der Überzeugten zunehmend taktisch flexibel und geschickt vermarktet wird. Daher leider die vom gegenwärtigen journalistischen Mainstream verbreitete Sicht, Harper und sein Kreis hätten ihre Positionen gemäßigt.
Deren neoliberalen wirtschaftspolitischen Vorstellungen gehen nun auch Hand in Hand mit der politischen Philosophie von Leo Strauss – oder vielmehr was rechte Adepten daraus gemacht haben. Amerikanische Straussians wie Weltbank-Chef und ex-stellvertretender US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sind bis in die höchsten Zirkel der Macht avanciert. Nun scheint es, daß ihre kanadischen Jünger es ihnen gleichtun wollen. Allen voran der Chefideologe der Calgary School, Tom Flanagan. Nach dem Studium der politischen Wissenschaften an der Notre Dame University sowie der FU Berlin promovierte der umtriebige heutige Calgary-Professor an der Duke University. Zusammen mit seinen Kollegen Rainer Knopff und Ted Morton polemisiert er gegen Multikulturalismus, Feminismus und sozialstaatliches Denken. Besonders hervorgetan aber hat sich Flanagan neben seinen Attacken auf die Landrechte der kanadischen Ureinwohner als Wahlkampfstratege für Harpers Tories. Die für Straussians typische weitflächige Vernetzung von akademischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen ist auch in der Karriere von Professor Morton reflektiert. Dieser nämlich sitzt seit geraumer Zeit für die Tories im Landtag von Alberta.
Die Provinz Alberta nimmt wie Quebec einen Sonderstatus im kanadischen Staatsgefüge ein, ist aber im Gegensatz zur La Belle Province libertär-marktwirtschaftlich ausgerichtet. Liberal genannt zu werden ist in Alberta ein schlimmes Schimpfwort, und nur Sozialisten sind für einen noch unteren Höllenplatz in der konservativen Eschatologie bestimmt. Der Rest Kanadas hingegen, besonders die bevölkerungsreichste Provinz Ontario, steht in der politischen Mitte oder aber etwas links davon. So hat die sozialdemokratische Liberal Party trotz mehrerer Korruptionsskandale ihre Mehrheit in Ontario einigermaßen halten können. Doch da diesmal alle Wahlkreise in Alberta und viele in anderen Landesteilen, einschließlich des von der Separatistenpartei Bloc Quebecois dominierten Quebec, an die Tories fielen, hat Kanada nun eine Tory-Bundesregierung. Nach dreizehn Jahren sind die Liberalen inhaltlich ausgelaugt und taktisch ermüdet. So sah es jedenfalls eine wenn auch knappe Bevölkerungsmehrheit.
Tory-Kabinette gab es zwar schon früher in Kanada, doch waren diese zumeist moderat-konservativ ausgerichtet. Nun bleibt abzuwarten, ob Harper und seine Alberta-Tories wie ihre amerikanischen Cousins von einer immer viel komplexeren Wirklichkeit belehrt werden, als sie sich momentan mit ihren ideologisch verfestigen Weltbildern vorzustellen in der Lage sind. Ein Lichtblick: Auch die kanadische Linkspartei, die New Democrats, konnte sich stark verbessern. Im kanadischen Mehrheitswahl-System spielen Direktmandate eine wichtige Rolle. Die Linkspartei konnte sage und schreibe 29 gewinnen.
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