Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 19. Dezember 2005, Heft 26

Unser aller Vater

von Andrzej Sikorski, Warschau

Aleksander Kwasniewski nimmt Abschied vom Amt. Nach Befragungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS sind 65 Prozent aller Befragten der Ansicht, daß er als Präsident seinen Verpflichtungen gut nachgekommen sei. Gegenteiliger Meinung sind 27 Prozent. Mit ihm zufrieden sind sogar jene 44 Prozent, die seinerzeit, im Jahr 2000, für Kwasniewskis Konkurrenten stimmten. Von den Mitgliedern der Partei Recht und Gerechtigkeit sind ihm 59 Prozent dankbar, 48 Prozent derer, denen die Partei Liga Polnischer Familien am Herzen liegt, rühmen den Präsidenten, und sogar 49 Prozent der Mitglieder der Samoobrona (Selbstverteidigung).
Die Polen danken Kwasniewski für richtige Entscheidungen (52 Prozent), für die würdige Repräsentation im Ausland sowie dafür, daß er Präsident aller Polen war (51 Prozent). Gedankt wird ihm für eine Präsidentschaft voller Erfolge (46 Prozent): die Integration Polens in die EU, der Eintritt in die NATO, die erfolgreiche Vermittlung im Interesse der Freiheit der Ukraine, für gute Beziehungen zu den USA. Zu den Schlappen des Präsidenten werden am häufigsten gerechnet sein überflüssiges Engagement im Irak, seine Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeitslosigkeit, fehlende Reaktionen auf die Korruptionsaffären. (…)
CBOS fragte die Polen: Was soll, Ihrer Ansicht nach, Aleksander Kwasniewski nach dem Ende seiner Präsidentschaft machen? Sieben Prozent empfehlen ihm die Gründung einer neuen Partei, fünf Prozent, daß er die Führerschaft der SLD übernehmen möge, 35 Prozent sähen ihn am liebsten in einer prestigeträchtigen internationalen Position, 39 Prozent hätte es am liebsten, wenn er sich aus der Politik zurückzöge (…)
Als jedoch gefragt wurde: Würden Sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, für eine Partei beziehungsweise eine Koalition zu stimmen, in der eine derartige Partei vertreten sein würde, antworteten 37 Prozent der Befragten, daß sie definitiv eine derartige Initiative nicht unterstützen würden und weitere zwanzig Prozent, daß sie »eher nein« zu einer derartigen Initiative sagen würden. 29 Prozent würden eine Unterstützung in Betracht ziehen. (…)
Da eines schönen Tages annähernd dreißig Prozent hinter einer Kwasniewski-Partei stehen könnten, sei daran erinnert, daß der jüngste Wahlsieger, das PiSoir, knapp 27 Prozent der Wählerstimmen erhalten hat.
Auf welche Wählerschichten könnte sich eine von Kwasniewski geführte Partei stützen? Es wäre eine deutliche Mehrheit junger Wähler zwischen 18 und 34, Wähler in Großstädten mit einer Einwohnerschaft von über 100000, Wähler mit einer Hochschul-, Mittelschul- oder einer gründlichen Berufsausbildung, Schüler und Studenten, Lohnempfänger in Privat- oder Staatsbetrieben, mit Einkünften über 1200 Zloty monatlich, die ihre eigene materielle Lage als gut betrachten, Wähler, die lediglich von Zeit zu Zeit oder gar nicht Kirchgänger sind, Wähler, in ihrer Mehrheit Ansichten der Linken oder der Mitte vertreten. Die potentielle Wählerschaft Kwasniewskis wäre demnach jung, gut ausgebildet, beweglich, hoffnungsvoll in die Zukunft schauend und offen für die Welt. Eine Wählerschaft, die auf die Zukunft setzt.
Nach Erfahrungen mit Regierungen der Rechten würde diese potentielle Wählerschaft anwachsen, da bei jeder Wahl das Verlangen zunehme, die jeweils herrschende Equipe abzuwählen. Kwasniewski hat Zukunft in Polen. Was also sollte er tun? Eine Partei gründen!

Aus NIE, Warschau, übersetzt von Gerd Kaiser