Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 19. Dezember 2005, Heft 26

So wahr mir Gott helfe

von Rainer Brandt

»Gottlose Regierung«, titelte 1998 eine große Zeitung. Damals griffen rote Neu-Sozis und grüne Alt-68er nach dem Regierungsruder. Und so benahmen sie sich auch. Bei der obligatorischen Vereidigung im Bundestag verweigerten etliche den Zusatz »… so wahr mir Gott helfe!« Gewiß, das darf man. Aber das gehört sich nicht. Nicht im christlichen Abendland, und so wurde in manchen Redaktionsstuben Schlimmstes befürchtet und Deftiges geschrieben.
Nun, da die Unionsparteien und die SPD eine übergroße Koalition bilden, scheint wieder alles im Lot. Nahezu alle Ministerinnen und Minister beriefen sich auf Gott. Nur die für Justiz zuständige Brigitte Zypries (SPD) ersparte sich die Rückversicherung auf Gottes Hilfe. Denkbar, sie hat schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht wollte sie auch den Heiland nicht unnötig behelligen.
Wer im Internet sucht, findet übrigens ellenlange Abhandlungen über Sinn und Unsinn der göttlichen Eidesformel. Bislang war sie stets an mir vorbeigerauscht. Aber diesmal sah ich mir den Spruch genauer an. Er muß wichtig sein. Anderenfalls würde der Schwur ja nicht im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland stehen, konkret im Artikel 56, eingeklemmt zwischen »Unvereinbarkeiten« und »Vertretung«:
»Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werden. So wahr mir Gott helfe.« Abschließend heißt es: »Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.«
Warum beschränkt sich der Amtseid auf das deutsche Volk, und wer ist das? Der Bundestag hat eine Kunstinstallation. So heißt das Neudeutsch. Dem Deutschen Volke steht in großen Lettern am Reichstagsgiebel. Im Innenhof opponiert neuerdings eine Grünfläche gegen diese Beschränkung. Sie provoziert mit den Worten: »Der Bevölkerung«.
Die Eidesformel enthält aber noch mehr Wundersames. Denn nicht nur das Wohl, auch der Nutzen des Volkes sollen nach Kräften vermehrt werden. Was aber ist das? Eine ökonomische Kategorie, wie Gebrauchs- oder Tauschwert? Fragt sich: Wofür soll ein Volk – dank gewissenhafter Minister und mit Gottes Hilfe – nützlicher werden, und an wen könnte man es dann verhökern? »Verraten und verkauft« ist eine verbreitete Floskel. Aber gehört sie ins Grundgesetz? (Kleiner Werbeblock: Das Programm Zwischen den Polen des Berliner Kabaretts Die Distel spendet dazu satirische Episoden.)
»Ich schwöre, daß ich (…) Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.« Ja, es heißt im Grundgesetz wirklich: »jedermann«, mit Doppel-n. Ich staune, daß Alice Schwarzer dagegen noch nicht gewalttätig wurde. Der Satz steht ehern, seit 1948, so als hätte es nie eine Frauenbewegung gegeben. Nicht vordem, zum Beispiel mit Clara Zetkin, und nicht später, nach der Femi-Revolte. Auch diesmal sprachen alle Eleven fürs Ministrable den zweifelhaften Satz brav nach.
Die Männer werden in der Eidesformel zwar privilegiert, aber nur als Versuchsobjekt. Gerechtigkeit solle gewährt werden, allerdings nicht für, sondern »gegen jedermann«. Sie wird auch nicht versprochen. Gerechtigkeit soll »geübt werden«. Der Schwur birgt ein kalkulierbares Risiko, ohne Gefahr eines Meineides, nicht mal als Erfolgsgebot. Wozu ist so ein Amtseid also gut, wofür ist ein Eid überhaupt gut?
Bleibt vorerst eine irre Vision, und die geht so: Irgendwann wird wieder eine neue Regierung vereidigt. Und eine kurdische Ministerin schwört auf das republikanische Grundgesetz: »So wahr mir Allah helfe!«