Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 21. November 2005, Heft 24

Zeichen der Versöhnung?

von Peter Franz

Daß es sich bei der wiedererrichteten Frauenkirche um ein imposantes und auch kunstgeschichtlich beeindruckendes Bauwerk handelt ist unbestreitbar. Die Kunstfertigkeit und das Können aller an dem Werk beteiligten Arbeiter, Architekten und Künstler kann nur gelobt werden.
Was mir als Theologen aber sauer aufstößt, ist der allenthalben verbreitete ideologische Nebeldunst, es würde sich bei diesem Werk um »ein Zeichen der Versöhnung« und des Friedenswillens handeln. Ich kann mich nur wundern, wie höchste kirchliche Vertreter und »gelernte« Theologen zu diesem Fehlschluß kommen können. Denn wenn es zwischen schuldig Gewordenen (zum Beispiel zwischen Deutschen und Briten) zur Versöhnung kommen soll, muß es nach den Worten von Jesus Christus zunächst zur Reue und zur Umkehr kommen: Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe. (Mt 5,23f.)
Ein solches Zeichen des Neuanfangs und wirklicher Versöhnung wäre es gewesen, wenn deutsche Spezialisten und Bauleute nach Coventry gegangen wären und die dortige Kathedrale wiedererrichtet hätten – das Einverständnis der anglikanischen Christen dort vorausgesetzt. Die aber scheinen ein tieferes Verständnis für den Charakter ihres heiligen Ortes zu haben, wenn sie es als Mahnmal gegen den Krieg und zur Versöhnung stehen lassen und keinen Gedanken an einen Wiederaufbau verschwenden.
Eher scheint mir die bauliche Restauration der Frauenkirche ein Symbol für die politische und ideologische Restauration zu sein, die sich in diesem Deutschland vollzieht. Anerkennt man die Frauenkirchen-Ruine von 1945 nämlich als Wahrzeichen für den Friedenswillen der damaligen Bevölkerung, kann man den heutigen Zustand nur als sein Gegenteil begreifen. Zeiten, in denen ein Palast des Volkes in Berlin ohne Not geschleift, aber ein Gotteshaus aus dem Zeitalter des Staatskirchentums ohne Not aus dem Boden gestampft wird, können nichts Gutes bringen. Gebracht haben sie die nachträglich doch noch gelungene »Befreiung« des europäischen Ostens durch die D-Mark respektive den Euro und Kampfeinsätze des deutschen Militärs in aller Welt. Einem unversöhnlichen Deutschland zwischen 1933 und 1945 galt schon damals das Wort Jesu Christi, auch wenn es kaum gesagt und noch weniger gehört wurde: Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. (Mt 24,1f.)