von Axel Fair-Schulz, Fort Erie/Canada
Saul Bellow (1913-2005) ist ohne Frage ein bedeutender und zu Recht international hochangesehener Schriftsteller. Ein Nobelpreis sowie gleich drei National Book Awards in den USA unterstreichen dies auch äußerlich. Bellows literarische wie auch politische Entwicklung zeichnet wichtige Etappen der amerikanischen Geistes- und Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert nach. So auch und gerade seine Entwicklung vom Trotzkisten zum allerdings gerade für heutige Verhältnisse hochkultivierten neokonservativen Kritiker der westlichen Zivilisation und da besonders des »Alten Europas«. Allerdings verfiel Bellow einer von ihm immer wieder warnend beschworenen Versuchung literarisch tätiger Geister: Er wagte sich – bestärkt durch sein brillantes Formulierungstalent – polemisch in Bereiche vor, wo gründlicheres Nachdenken ihn vor mancher Dummheit bewahrt hätte. Es sind eben nicht immer nur Linke, die Bekenntnisästhetik produzieren.
Bellows verstreute autobiographisch-literarische Äußerungen sind Legion; It All Adds Up als Essay-Sammlung ist da ein guter und zumeist kurzweiliger Anfang für interessierte Leser. Unter anderem beschreibt der kauzige Fabulierer, wie er als junger Mann zu Trotzki im mexikanischen Exil pilgern wollte, aber dann nur den wenige Stunden zuvor ermordeten Leichnam zu Gesicht bekam.
Wie nun gelangte ein dezidiert linksstehender Literat so nach rechts? Bei aller Bellow-typischen Exzentrik: Ganz so ungewöhnlich war diese Entwicklung nicht. Sympathie für die Ideen Trotzkis war unter jungen jüdischen amerikanischen Intellektuellen der dreißiger und vierziger Jahre keine Seltenheit. Sie hatten versucht, an der kommunistischen Utopie festzuhalten, konnten aber der Sowjetunion, besonders seit dem Hitler-Stalin-Pakt, nichts mehr abgewinnen. Hinzu kam ihre Aversion gegen den parteioffiziellen »sozialistischen Realismus«; besonders die Intellektuellen um die Partisan Review präferierten Trotzkis Offenheit gegenüber der literarischen Moderne.
Irgendwann zwischen den fünfziger und sechziger Jahren wechselten einige ihrer prominentesten Vertreter die Seiten – wie der Essayist Irving Kristol, die Historikerin Gertrude Himmelfarb, der Publizist Norman Podhoretz und, als eine Art Johnny-Come-Lately, der Essayist und Polemiker Christopher Hitchens. Letzterer konvertierte ins Lager der NeoCons mit historischer Riesenverspätung, nämlich erst in jüngster Zeit. Auch in Europa gab es ähnliche Entwicklungen, manifestiert durch Paul Johnson in Großbritannien (einst Chefredakteur des linkssozialistischen New Statesman) sowie in Frankreich durch Jean-François Revel.
Die Gründe dieser Gesinnungswechsel sind komplex. Eine zunehmende »linke Nachsicht« gegenüber der repressiven Sowjetunion – verbunden mit einer generalisierenden Verurteilung der USA – sowie die wachsende Counter Culture der sechziger Jahre werden von den Betroffenen immer wieder als Motive angeführt; so von Podhorez in Ex-Friends sowie in Kristols Neoconservatism: The Autobiography of an Idea.
Im Gegensatz zu den zumeist isolationistischen traditionellen Konservativen propagieren die NeoCons weniger fiskale Verschlankung als Wirtschaftswachstum. Budget-Defizite sind für sie nicht das Ende der Welt, sondern normaler Bestandteil einer modernen Gesellschaft. Auch teilen die NeoCons nicht den traditionell konservativen Haß auf Franklin D. Roosevelt, sondern können dem New Deal Positives abgewinnen. Jedoch glauben sie, daß der Wohlfahrtsstaat nach Roosevelt außer Rand und Band geraten sei und verkleinert werden müsse. NeoCons glauben an ein aggressiv-globales Vertreten amerikanischer Interessen. Merkwürdigerweise gingen die zumeist säkularen NeoCons eine Allianz mit christlichen Fundamentalisten ein und lamentieren besonders seit den sechziger Jahren über einen Werteverfall.
Hier nun kommt Bellow ins Spiel. Auch er sah in den USA, ja, in der gesamten westlichen Welt, zunehmend ein laszives Babel, das einer geistig-moralischen Wende bedürfe. Bellow verstieg sich sogar auf die groteske Gleichsetzung von Woodstock und Nürnberg: Rock’n Roll und free love als ebensolche Zeichen moralischen Verfalls wie die Nazi-Barbarei? Während der Regierungszeit von Bush I sollte der damalige Verteidigungsminister Dick Cheney die äußeren Grenzen der USA schützen, während sich dessen Frau Lynn als Volksbildungsministerin den »inneren« zuwenden sollte – gegen Liberale, Linke und Multikultis.
Bellow übernahm nicht wenige solcher Ideen von seinem Mentor und Freund Allan Bloom. Dieser vormalige Professor für politische Philosophie wurde durch sein Closing of the American Mind (Bellow schrieb das Vorwort) sowie Love and Friendship zu einer Ikone der NeoCons. In beiden Werken analysierte und polemisierte sich Bloom durch die abendländische Geistesgeschichte, die er in letzter Instanz von den Höhen sokratisch-platonischen Denkens bis zum Relativismus im 20. Jahrhunderts als Niedergangsgeschichte sah. Die klassischen Griechen seien philosophisch nicht überbiet-, sondern nur kommentierbar. Am anderen Ende dieser Skala stand für Bloom Martin Heidegger, dessen Heidelberger Rektoratsrede von 1934 den Verrat der Intellektuellen am Geist manifestierte.
Die postmoderne Linke nun hat Heideggers rechte Ideen (ohne diese wirklich zu begreifen) übernommen und in modischen Werte- und Kulturrelativismus übersetzt. Bellow, die Komplexitäten dieser Genealogie etwas vulgarisierend, setzte Bloom mit seinem letzten Roman Ravelstein ein literarisches Denkmal. Neben dem Protagonisten sind auch andere Figuren leicht zu decodieren; Leo Strauss firmiert als Felix Davarr.
Bellow war in erster Linie ein begnadeter Formulierer und genauer Beobachter psychologischer Prozesse, kein systematischer Denker. Seine Apologia für Bloom ist daher trotz aller sprachlichen Brillanz plakativ, wie es schon Jahrzehnte zuvor sein Trotzkismus war; ein wenig NeoCon als Modephänomen und doch ein großer Schriftsteller. Man braucht allerdings Martin Amis’ hagiographische Behauptung nicht kritiklos zu übernehmen, wenn er Bellow über alle Maßen lobt: Compared with him, the rest of us are only fitfully sentient. Doch lesen kann man diesen im Frühjahr dieses Jahres gestorbenen jüdischen Amerikaner russischer Herkunft mit Gewinn, besonders Augie March, Herzog und Mr. Sammler.
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