von Jochen Mattern
Unter Anspielung auf die klassische Architektur wird die sächsische Landeshauptstadt Dresden auch Elbflorenz genannt. Doch Sachsens CDU fröstelt es. Der Grund dafür ist nicht meteorologischer, sondern politischer Art. Die Partei sehnt sich nach der wärmenden Sonne ihres einstigen Monarchen Kurt Biedenkopf. Zwar hatte man für den Sonnenuntergang selbst gesorgt – König Kurt war bekanntlich einer parteiinternen Intrige zum Opfer gefallen –, doch stand aus heutiger Sicht die Sonne damals schön wie nie über Land und Leuten. Der Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, der spröde und technokratisch agierende Georg Milbradt, vermag nicht annähernd so viel Wärme auszustrahlen wie König Kurt. Das wirkt sich negativ aufs Wahlvolk aus. Unter Milbradts Regiment büßte die CDU bei Landtagswahlen im vergangenen Jahr die Alleinherrschaft ein. Fortan muß man sich die Macht im Freistaat mit der ungeliebten SPD teilen. Von dieser Kränkung ihres narzißtischen Größenselbst hat sich die sächsische Union bis heute nicht erholt. Eine Aussicht auf Besserung der Lage läßt sich auch nicht nach der Bundestagswahl erwarten. Einstweilen scheint die Rückeroberung der Alleinherrschaft im Freistaat in uneinholbare Ferne gerückt. Das wurmt die Parteistrategen in der CDU mächtig.
Zu allem Ärger über den Verlust der politischen Alleinherrschaft im Freistaat gesellt sich neues Ungemach. Die Meinungsführerschaft auf ideologischem Gebiet ist bedroht. Mit der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag ist der CDU ein unerwarteter Konkurrent erwachsen, mit dem sie um das »gesunde Nationalempfinden« wetteifern muß. Schließlich hat man einen Ruf zu verteidigen. Sachsen gilt als das Ursprungsland der nationalen Revolution von 1989. Hierzulande geschah es, daß zum erstenmal der Ruf ertönte: Wir sind ein Volk! In Sachsen hat das Nationalbewußtsein besonders tiefe Wurzeln geschlagen.
Der Wetteifer beider Parteien ums »gesunde Nationalempfinden« treibt wahrlich stolze Blüten. Ein regelrechter Bekenntnisdrang hat die Abgeordneten aus der Unionsfraktion ergriffen. In den Landtagsdebatten bekunden sie ihre unverbrüchliche Treue zum Vaterland und zur Nation, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowieso. Daß sie bei jeder halbwegs geeigneten Gelegenheit ihren Stolz darauf, Deutscher zu sein, kundtun, gehört beinahe schon zum guten Ton. Niemand soll die CDU im nationalen Empfinden übertrumpfen. Mit nationaler Rhetorik und Symbolik will sich Sachsens Union beim Wahlvolk als »patriotische Volkspartei« profilieren. Davon erhofft man sich künftig bessere Wahlergebnisse. Deswegen wollen die Parteistrategen nun auch die Bevölkerung Sachsens mit ihren »positiven nationalen Wallungen« beglücken. Im altbewährten Stil einer führenden Macht will die CDU mit der Stimulierung des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls in den Schulen beginnen. Die Nationalhymne soll schon in der Grundschule gelehrt und gesungen werden, und für Schulen und Hochschulen ist Nationalbeflaggung vorgesehen, wenn der Anlaß das gebietet.
Derartige nationale Wallungen ließen sich spöttisch als sächsischer Unionsbeitrag zur kulturellen Bildung abtun, durch den die Sangeskraft und das nationale Gemeinschaftsgefühl junger Menschen gestärkt werden sollen. Allein, der sächsischen Union ist es ernst mit der nationalen Emphase. Wenn von »opferwilligen Dienern am Gemeinwohl« die Rede ist, dann wird klar, wo der Weg hinführt: in eine andere Demokratie.
Bislang galt die liberale Demokratie als eine eher nüchterne Angelegenheit, deren Wertbasis in der Bereitschaft zum Gespräch mit Andersglaubenden und Andersmeinenden besteht. Darin besteht das demokratische Ethos. Es verzichtete bis dato auf jedwedes äußere Gepränge und repräsentative Gehabe. Mit der egalitären Grundlage der Demokratie macht das nationale Pathos Schluß. Das nationale Kollektiv tritt an die Stelle der Gleichheit aller Menschen. Einverständnis wird nicht als Ergebnis streitbaren Dialogs erzielt, sondern durch kulturelle Zugehörigkeit determiniert. Es braucht dann bloß noch per Akklamation abgerufen zu werden. Dem dient die von Sachsens Union forcierte Symbolpolitik, bei der es sich um eine strategische Form politischer Kommunikation handelt. Sie sinnt auf Gefolgschaft, nicht auf Verständigung. Ein reflexionsloser Gemeinsinn, der das Sterben fürs Vaterland beinhaltet, ersetzt reflexive Politik, die auf demokratischer Streitkultur beruht.
Dagegen beruft sich der Verfassungspatriotismus, der modernen Demokratien schon wegen ihrer kulturellen Vielfalt angemessen ist, nicht auf die nationale Zugehörigkeit, sondern auf die universellen Rechte und Freiheiten der Menschen. Doch das mag man in der sächsischen CDU nicht hören.
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