von Uri Avnery, Tel Aviv
Letztens traf ich bei einer Konferenz in Europa eine reizende junge Frau. Intelligent, gebildet, in mehreren Sprachen versiert und sehr attraktiv. Nach ein paar Stunden Shopping sah sie so elegant aus wie ein nach der letzten Mode gekleidetes Model. Sie ist Schiitin und kam direkt aus Bagdad, wohin sie nun zurückgekehrt ist. Nennen wir sie Samira. Was mich am meisten an ihr beeindruckte, war ihr totaler Pessimismus. »Die Situation ist schlecht«, sagte sie, »und was auch immer geschehen mag, es wird noch schlimmer werden«.
Für eine junge berufstätige Frau sind die Aussichten tatsächlich trostlos. Die schiitische Gemeinschaft ist im Griff der Ayatollahs, die dabei sind, eine unbeugsame Haltung gegenüber Frauen durchzusetzen. Vielleicht nicht so streng wie im Afghanistan der Taliban oder in Khomeinis Iran, aber streng genug, um es einer Frau unmöglich zu machen, sich nach ihrem Wunsch zu kleiden oder zu arbeiten, was sie will. Samira verbirgt schon heute vor ihren Nachbarn in einem wohlhabenden Stadtteil von Bagdad ihren Beruf – aus Angst, die Aufmerksamkeit einer der zahlreichen bewaffneten Milizgruppen auf sich zu ziehen.
Ich habe es ein paar Monate lang vermieden, über den Irak zu schreiben, trotz der Tatsache, daß ich die Ereignisse dort mit unbeirrbarer Faszination verfolge – weil es fast unmöglich ist, darüber zu schreiben, ohne zu sagen: »Genau das sagte ich voraus!« Die Welt (und besonders Israel) ist voller Politiker, Generäle, Journalisten, Akademiker, Geheimdienstler und solcher, die ausnahmslos mit allem, was sie vorausgesagt hatten, falsch lagen; abgesehen von wenigen Ausnahmen – wie eine nicht funktionierende Uhr, die allerdings zwei mal am Tag die richtige Uhrzeit anzeigt. Doch seltsam genug, sie bleiben populär, ihre Fehler werden ihnen vergeben und vergessen, selbst wenn sie verheerende Ergebnisse zeitigen, wie es Generälen und Politikern geschieht. Lange Erfahrung lehrte mich, daß dies durchaus eine Sache ist, die einen rasend machen könnte. Die Öffentlichkeit kann Kommentatoren vergeben, die erwiesenermaßen falsche Aussagen machten – sie wird aber niemals denen vergeben, die recht hatten.
Also laßt uns diesen Satz vermeiden. Laßt uns nur auf einiges hinweisen, das ich vor dem Krieg sagte und das sich nicht als ganz falsch erwies. Zwei Tatsachen verdienen im Augenblick besondere Beachtung:
Erstens: Das wirkliche Ziel des Krieges im Irak war die Stationierung einer permanenten amerikanischen Garnison, die von einem lokalen Quislingregime unterstützt wird, um die weiten Ölfelder des Iraks selbst festzuhalten – und indirekt auch die Ölreserven der benachbarten Länder wie Saudi-Arabien, der Golfstaaten und im Becken des Kaspischen Meeres. Es gab keine »Massenzerstörungswaffen«, »keine Absetzung eines blutdürstigen Tyrannen«, »keine Verbreitung der Demokratie«, keine »Achse des Bösen«.
Zweitens: Das Hauptergebnis des Krieges wird das Auseinanderfallen des Landes in drei sich feindlich gesinnte Komponenten sein: die sunnitischen Araber, die Schiiten und die Kurden. Ob dieses Auseinanderbrechen des irakischen Staates als »lose Föderation« oder anders verschleiert wird, ist letztlich irrelevant.
Es war klar, daß die Kurden sich mit nicht weniger zufrieden geben würden als mit einer de-facto-Unabhängigkeit, um ihre Einkünfte aus dem Öl für sich behalten zu können. Es war auch klar, daß dies tiefste Befürchtungen in der Türkei, dem Iran und Syrien wecken würde; denn in allen Ländern gibt es eine kurdische Bevölkerung, die von der möglichen Errichtung eines großen, vereinigten Kurdistans träumt.
Es war auch klar, daß der irakische schiitische Staat von religiösen Klerikern angeführt werden würde, von denen die meisten im Iran gelebt hatten und die das islamische Gesetz, die Scharia, einführen würden. Diese Kleriker, die nicht unbedingt Handlanger von Teheran sein müssen, werden aber sicher in diese Richtung tendieren. Sie werden natürlich versuchen, die großen Ölreserven der Region für sich auszunutzen.
Man muß kein Prophet biblischen Ausmaßes sein, um vorauszusehen, daß die arabischen Sunniten mit dieser Niederlage nicht einverstanden sein werden. In solch einer »Föderation« werden sie jeder Macht und aller Öleinkommen beraubt sein, von den Höhen ihrer Macht in einen Abgrund der Ohnmacht geworfen sein. Dies führt zu einem »Aufstand«, der nicht zerschlagen werden kann, weil er vor einem unlösbaren Problem steht. Weder die kurdischen noch die schiitischen Führer sind von der Art, daß sie um eines nie geliebten Iraks willen, mit dem sie sich auch nie identifizierten, einige ihrer langersehnten Vorteile preisgeben würden.
All dies hätte leicht vorausgesehen werden können, wenn die einzige Supermacht der Welt nicht von einem drittrangigen Politiker geführt worden wäre; wenn die Politik nicht von Neo-Konservativen gestaltet worden wäre, die von einer fanatischen Obsession geblendet waren; wenn Tony Blair, der es hätte besser wissen müssen, nicht ein unverbesserlicher Opportunist wäre; wenn die israelische Regierung nicht gewünscht hätte, der Bush-Regierung zu dienen und die Araber zu schlagen.
Millionen von anständigen, unschuldigen Irakis aller Gemeinschaften wie meine neue Freundin Samira werden den Preis zahlen müssen.
Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs; von der Redaktion gekürzt
Schlagwörter: Uri Avnery