Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 10. Oktober 2005, Heft 21

Obskurantenspiele

von Stefan Wogawa

Die Nachricht, verbreitet via Stern, ließ aufhorchen: Die Thüringer Staatskanzlei wolle Anfang 2006 in ihrer Veranstaltungsreihe Erfurter Dialog den prominenten Kreationisten und Gegner der Evolutionstheorie Siegfried Scherer auftreten lassen. Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) persönlich wurde in dem Magazin mit der Begründung zitiert, es gebe zur Evolution »kein abgeschlossenes wissenschaftliches Konzept«.
Das stimmt – aber welche Wissenschaft, die den Namen verdient, ist »abgeschlossen«? Warum soll der Kreationismus, eine Spielart der biblischen Schöpfungslehre, plötzlich eine Wissenschaft sein, mit der es in einen »Dialog« zu treten gelte? Und warum muß dazu ausgerechnet eine Landesregierung einladen?
Opposition und Fachöffentlichkeit warteten jedenfalls nicht lange. »Es ist nicht Aufgabe der Staatskanzlei, mit Steuermitteln fundamentalreligiöse Weltbilder zu propagieren«, stellte Birgit Klaubert, Abgeordnete der Linkspartei.PDS, ihre Sicht dar. Initiator der geplanten Veranstaltung sei Althaus selbst, mutmaßte sie. »Ich warne Dieter Althaus davor, religiösen Fundamentalisten den Boden zu bereiten«, kritisierte auch der SPD-Fraktionschef Christoph Matschie, ein studierter Theologe. Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, Hochschullehrer an der Universität Kassel, hatte bereits im Stern das Engagement von Althaus als »Katastrophe« charakterisiert.
Die Staatskanzlei ging flugs in die Gegenoffensive. Wolle man etwa Denkverbote erteilen, fragte Regierungssprecher Uwe Spindeldreier gekränkt. Zudem sei Scherer kein Kreationist, sondern lehne deren Absolutheitsanspruch ab.
Doch da ist Spindeldreier schlecht informiert. Scherer engagiert sich ausgerechnet bei radikalen Christen, den Evangelikalen, denen die Bibel unfehlbare Glaubensgrundlage ist. Laut Kutschera, Autor eines Buches zu kreationistischen Strömungen in Deutschland, sei bei ihnen »der Übergang zum christlichen Fundamentalismus fließend«.
Scherer amtiert als Vorsitzender der Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Die will nach eigenen Worten »Denkhilfen geben, wie die wissenschaftlichen Daten aus der biblischen Perspektive gedeutet werden können«. Bei dieser Mission steht Wort und Wissen treu zur biblischen Überlieferung: zur sechstausend Jahre jungen Erde, zur weltweiten Sintflut, zur Schöpfungswoche. Ihre Geo-Arbeitsgruppe arbeitet nach eigener Aussage »in Vertrauen auf Jesus Christus Tun. ER hat sowohl die theologische Wahrheit als auch die geschichtliche Wirklichkeit der biblischen Urgeschichte mit ihrem Kurzzeit-Horizont geoffenbart und beglaubigt. Für weitere Mitarbeiter, die sich auf dieser Grundlage in die umfangreiche geologische Arbeit rufen lassen, ist die Geo-Arbeitsgruppe von Wort und Wissen sehr dankbar. Ebenso freuen wir uns über Beter, die hinter uns stehen und diese Anliegen zu ihren eigenen machen.«
Scherer geht davon aus, ein »intelligenter Designer« habe die Welt entworfen, heutige Tier- und Pflanzenarten seien bereits ab diesem Schöpfungspunkt als »Grundtypen« vorhanden gewesen. Diese Sicht wird er im Erfurter Dialog vertreten. Hochrangige Beter, die hinter ihm stehen, dürfte er bereits gefunden haben.
Dabei hatte Regierungssprecher Spindeldreier betont, daß der Versuch unanständig sei, Ministerpräsident Althaus in die religiös-fundamentalistische Ecke zu drängen, in die er aufgrund seiner persönlichen Überzeugung nicht gehöre. Doch Hinweisen, die in Althaus, Mitglied im Hauptausschuß des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, den Initiator des Scherer-Auftritts sehen, mangelt es keineswegs an Substanz, wie ein Rückblick zeigt: Im November 2002 verlieh in Bielefeld der Verein Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft e.V. seinen Deutschen Schulbuchpreis an das Biologiebuch Evolution – Ein kritisches Lehrbuch von Reinhard Junker und Siegfried Scherer. Althaus, damals noch Fraktionsvorsitzender der CDU im Thüringer Landtag, hielt die Laudatio. In seinem Vortrag Der Beitrag der Schule zur Werteerziehung zeigte er sich des Lobes voll über das »ausgezeichnete Lehrbuch«, das eindrucksvoll Werteorientierung biete. Vollmundig gratuliert er Scherer zum sogenannten Schulbuchpreis.
Der ist freilich ein Etikettenschwindel. Denn Aufnahme in ein Landeslernmittelverzeichnis werde für den Preis nicht vorausgesetzt, schreibt der Verein. Laut seiner Satzung will er Werke auszeichnen, »die Ehrfurcht vor Gott, Nächstenliebe, Toleranz und Dialogfähigkeit auf der Grundlage einer eigenen ethisch hohen, christlichen Überzeugung vermitteln«. Das paßt zu einer Vereinigung, von der ihr Vorsitzender Wolfram Ellinghaus sagt, sie trete »der amtlichen Entchristlichung unserer Schulbildung« entgegen. In der Selbstdarstellung finden sich noch schrillere fundamentalistische Töne: Zum »wahren Menschsein« gehörten die »biblisch begründeten Werte und Normen«.
Doch das störte 2002 Dieter Althaus nicht. Er hoffe, so ließ er in Bielefeld wissen, das Buch werde nicht nur von Biologielehrern im Unterricht verwendet, sondern finde darüber hinaus eine große Leserschaft. Es mache immerhin deutlich, daß Glaube und Religion in den naturwissenschaftlichen Fächern von großer Bedeutung seien. »Lob von einem CDU-Bildungspolitiker«, jubelte das christliche Nachrichtenmagazin idea, das sich als »bibeltreue Stimme in der deutschen Medienlandschaft« versteht und laut Selbstdarstellung jährlich 35000 Euro verwendet, um »christliche Werteinformationen für Bundes- und Landtagsabgeordnete« zu verbreiten.
Heute will man in der Thüringer Staatskanzlei von Religion und Weltanschauung freilich nichts mehr wissen. Bei der Veranstaltung in Erfurt, erklärte Spindeldreier, werde es um eine wissenschaftliche Debatte »zwischen verschiedenen Theorien zur Entstehung und Entwicklung des Lebens« gehen. Starke Zweifel sind angebracht. Althaus gratulierte Scherer im Jahr 2002 immerhin dafür, daß er mit seiner Arbeit die Grenze zwischen Biologie und Theologie überschritten habe.
Durch den öffentlichen Gegenwind irritiert, suchte die Staatskanzlei einen Ausweg und lud den Scherer-Kritiker Ulrich Kutschera ebenfalls zum Erfurter Dialog. Doch der will an einer »Diskussion, die hinter Darwin zurückfällt«, und religiöse Dogmen durch deren öffentliche Erörterung aufwertet, nicht teilhaben. Diese Debatte gehe schnurstracks in Richtung Mittelalter.
Die Einladung an seinen bibeltreuen Glaubensbruder Scherer brachte Althaus immerhin eine Schlagzeile der Katholischen Nachrichtenagentur. Unter dem Titel Althaus und die Schöpfung berichtete man dort über die geplante Veranstaltung. Hierzulande waren die Medien weniger emphatisch. Solche Nachrichten »sorgen in der Heimat zunehmend für Unverständnis«, höhnte die stockkonservative Welt.
Althaus sammelt derweil seine Mannen, die den offenen Diskurs in Gefahr sehen und »Freiheit der Wissenschaft« anmahnen. Angesichts der Kritik fühlt sich der wendige und stets mitteilungsbedürftige Jörg Schwäblein an die »ideologischen Vorgaben der atheistischen Propaganda der DDR« erinnert. Der Mann ist Sprecher des Arbeitskreises für Wissenschaft, Forschung und Medien der CDU-Landtagsfraktion; in der DDR war er Bezirkstagsabgeordneter.