Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 24. Oktober 2005, Heft 22

Balkannächte und Turbofolk

von Ana Hoffner, Wien

Ein neuer Trend zeichnet sich in Wiens alternativer Musikszene ab. Der aufmerksamen Stadtbeobachterin dürfte es wohl kaum entgangen sein: Balkannächte sowie diverse Auftritte von mehr oder weniger bekannten Roma-Bands vor allem aus Ex-Jugoslawien, aber auch aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei prägen immer stärker die Musiklandschaft. Goran Bregovic und Emir Kusturica, die bis vor kurzem noch als Geheimtipp galten, spielen in restlos ausverkauften Sälen vor begeistertem Publikum. Der Osten wird inflationär gehandelt.
Seit auf politischer Ebene das neue durch die EU-Erweiterung vergrößerte Europa gepriesen wird, drehen auch Kulturschaffende ihren Kopf zunehmend Richtung Osten. Neue Nachbarn werden unermüdlich willkommen geheißen, Konzerne strecken ihre Fühler aus in Erwartung neuer Wirtschaftsbeziehungen, und diverse Musiker scheinen im Osten endlich das Neue gefunden zu haben.
Techno, HipHop und Dance floor sind für die Musikkonsumenten langweilig geworden. Die Musikindustrie sucht nach Auswegen aus der Finanzkrise, die Hörer nach Alternativen. Die Folge sind alternative Rock-Bands, alternative DJs, alternatives Was-auch-immer. Die Gier ist groß geworden, aber es ist nur wenig da, um sie zu befriedigen. Einer konsumgesättigten Generation geben die schmetternden Blechbläser eines Roma-Ensembles offenbar genau das Richtige. So manches wird im Original gespielt, anderes wiederum elektronisch aufbereitet.
Auf den ersten Blick könnte gemeint werden, es herrsche großes Interesse an den benachbarten Kulturkreisen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich jedoch der Drang nach Multikulturalität als Produktion einer Andersartigkeit, die bestimmte Zwecke erfüllen soll. Mit der Musik werden Gefühle von Authentizität und Unkäuflichkeit transportiert. Balkan – das ist doch da, wo es gute Musik gibt und keine Plastikfabrikate, »dort« wird noch richtig gefeiert, es fließt der Schnaps, und es wird im Kreis getanzt. Der Osten wird so zur exotischen Frucht, die wir brauchen, um uns zu erfrischen.
Wien hat einen sehr hohen Anteil an Migranten, von denen die meisten aus Ex-Jugoslawien stammen. Die zweite Generation der Gastarbeiter von damals ist jedoch kaum bei einer der besagten Balkannächte anzutreffen, ebensowenig Menschen aus anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, bis auf einige Studierende. Um ein Integrationsprojekt dürfte es sich also wohl kaum handeln. Diese Jugendkultur hat ganz andere Treffpunkte. Ein paar Kilometer weiter in einem entlegenen Bezirk treffen sich jedes Wochenende Jungs und Mädchen mit serbischer Herkunft, um in einer überfüllten Diskothek zu Turbofolkklängen die Nacht durchzutanzen.
Was ist Turbofolk? Anfang der neunziger Jahre ist diese Musikrichtung entstanden, die auch als nationalistischer Diskosound bezeichnet werden könnte und die mit der Balkanmusik der alternativen Szene nur wenig gemein hat. Auch hier werden Einflüsse von außen aufgenommen, serbischer Folk wird mit Disko, Rap und Techno vermischt, jedoch unter ganz anderen Vorzeichen. Turbofolk wurde in einer Zeit entwickelt, die von permanentem Kriegszustand und vom Embargo geprägt war, in einem eingeschlossenen Serbien, das von Milosevics Diktatur zerfressen wurde. Sein Nationalisierungsprojekt zerstörte die urbane Kultur und brachte Pop-Ikonen auf die Bühne, die das erstarkte serbische Volk repräsentieren sollten.
Eine der wichtigsten davon ist Ceca. Unter Milosevic gab es keine ausdrückliche Zensur westlicher Musik; deren Kennzeichen wurden mit den eigenen nationalistischen Bestrebungen verknüpft und mutierten zu Pop. Turbofolk machte Konsumgenuß in Zeiten der Isolation möglich. Es ist die Wiederkehr der Subkultur als nationalistischer Mainstream. Schritt für Schritt wurde damit die alternative Kultur an den Rand gedrängt – keine Alternative in der Musik bedeutet hier auch keine Alternative in der Politik. Turbofolk hat Diktatur etabliert. Ceca, die Madonna Serbiens, war die Frau von Arkan Raznjatovic, einem Kriegsverbrecher, Paramilitär und Ultranationalisten. Nach der Ermordung von Zoran Djindjic im März 2003 wurde ein Waffenlager in ihrem Haus gefunden, woraufhin sie als Mitverdächtige im Djindjic-Komplott verhaftet wurde. Kurze Zeit später brachte sie jedoch ein neues Album heraus und glänzte erneut auf der Bühne.
Ceca bildet eine Schlüsselfigur zum Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in Ex-Jugoslawien. Durch sie wird die Dekonstruktion der kommunistischen Gesellschafts- und Geschlechterordnung zugunsten einer Neuaufteilung der Macht deutlich.
Ceca präsentiert sich als von Kopf bis Fuß gestyltes Objekt, freiwillig gibt sie ihren Körper hin und formuliert eindeutige sexuelle Botschaften: daß »unsere« serbischen Frauen die schönsten der Welt sind und der Mann trotz aller Probleme immer noch potent ist. Neue Grenzen wurden durch die ethnischen Kriege in Ex-Jugoslawien gezogen, mit nationalistischen Strategien ein patriarchaler Nationalstaat aufgebaut. Frauen, die sich innerhalb dieses Systems befanden, wurden durch Mythologisierung und Naturalisierung zur lebensspendenden Kraft der Nation – mit schwerwiegenden Folgen für die Frauen in den anderen Teilen des auseinanderfallenden Jugoslawiens.
Sie wurden zur größten Zielscheibe. Systematische Vergewaltigungen von Albanerinnen, Bosnierinnen und Kroatinnen bedeuteten die Vernichtung des Feindes. Erst mit der Ergänzung der geschundenen Körper dieser Frauen wird das Bild von Ceca vollständig.
Die vom Turbofolk vorgeschlagenen Codes werden auch von Migranten in Wien übernommen: In einer bis ins letzte Detail heterosexualisierten Ordnung sollen die Männer bewaffnet und stark und die Frauen sexy sein. Turbofolk fördert eine radikale Position gegenüber der hegemonialen Kultur und erteilt Dialogbereitschaft eine deutliche Absage. Damit wird es auch weiterhin zwei Parallelwelten in Wien geben, die niemals aufeinander treffen.