Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 29. August 2005, Heft 18

Zwischen Ohridsee und den Prespaseen

von Achim Engelberg

Die Deutschen kommen nicht mehr«, sagt in gutem Deutsch tonlos traurig der grauhaarige Mann an der Rezeption des Hotels Riviera in Ohrid. Still liegt draußen der von Bergen und Klöstern umringte See. In den achtziger Jahren war der Weg durch das jugoslawische Mazedonien eine der Hauptrouten vieler westdeutscher Urlauber auf dem Weg zurück von Griechenland nach Hause. Häufig machten sie einen Stop am Ohridsee – einem der naturgeschichtlich ältesten und kulturell vielschichtigsten Seen Europas.
»Wer kommt denn jetzt?« – »Russen, andere.« – »Die Promenade vor dem Hotel heißt immer noch nach Marschall Tito. Soll das geändert werden?« Er zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, weicht er aus.
Kalinka, Kalinka und andere russischen Weisen spielen die Musiker im Antico, einem vorzüglichen Restaurant, wo es auch die Ohridseeforelle gibt, die gefüllt mit verschiedenen Zutaten die Spezialität der Region ist und als Beweis für die Sauberkeit des großen Sees gilt. Forellen meiden, anders als Karpfen, trübes Wasser.
In einem der kleinen Häuser am Seeufer zeigt Atanas Talevski seine Fotos, die Landschaft und Kultur dokumentieren. Im nebligen Dunst stehen Angler wie Geister an einem der Zuflüsse. Von einem antiken Amphitheater sieht man auf den in der Abendsonne funkelnden See. Eine byzantinische Kapelle thront auf einem Felsen. Ein orthodoxes Kloster schmiegt sich an einen Berg. Dörfer aus Stein und Stroh wie aus einer anderen Zeit. Der schmale Mann mit spärlichem Haar redet bedächtig und klar Deutsch, besorgt, daß er nicht zu viel erzähle von der Geschichte der Orte. »Hier – das ist die Kirche des Hl. Pantelemon. Vor kurzem wurde sie wieder errichtet.« Dann zeigt er auf Fotos der Bauarbeiten und ein Bild mit Überresten einer Moschee. »In der Türkenzeit ist die Hl. Pantelemonkirche abgerissen worden und eine Moschee an gleicher Stelle, zum Teil aus demselben Stein, errichtet worden. Die ist dann im Laufe der Jahrhunderte verfallen. Im Sozialismus waren nur noch diese Steinstelen da, die haben wir vor ein paar Jahren abgerissen und wieder unsere Kirche des Hl. Pantelemon errichtet.«
Eine Neubesinnung auf die orthodoxen Wurzeln also, wie man sie überall findet. So steht an zentraler Stelle auf der Uferpromenade ein 1990 errichtetes Denkmal für die Brüder Kyrill und Method. Schüler dieser Erfinder der kyrillschen Schrift kamen nach Ohrid und begannen von hier ihre Missionstätigkeit. Allerdings ist das Denkmal für diese Gründungsväter des Slawentums und der Orthodoxie im pathetischen Stil des sozialistischen Realismus erschaffen worden.
Sveti Naum – einer der schönsten Orte auf dem Balkan. Der Bus von Ohrid nach Sveti Naum tuckert den See entlang und durch die Dörfer. Eine Ziege nagt an einem Abrißhaus. Eine Katze schleicht um Häuser aus Feldstein und Lehm. Zimmer können überall gemietet werden. Am Eingang des Dorfladens stehen einige Leute herum, ein Mann löst sich aus der Gruppe, winkt, der Bus hält, die Tür geht fauchend auf, der Mann legt das abgezählte Geld hin. Am Dorfausgang dösen einige ältere Frauen um ein kleines Feuer, bewachen zwei Kühe und recken ihre Köpfe, wenn der Bus kommt. Der Fahrer hupt ein Hallo. Ein Mann mit weißem Haar und braungefurchtem Gesicht lenkt zwei Esel, die einen Holzpflug über ein winziges Feld ziehen, im Hintergrund schimmert der See, dahinter blaugrüne, besänftigende Berge. Zimmer-frei-Schilder locken Reisende.
Eine Mischung aus Lieblichem und Rauhem macht den Charme von Sveti Naum aus, dem wohl schönsten Platz in Mazedonien. Die Quellen des Schwarzen Drins, der nach wenigen hundert Metern in den Ohrid-See mündet, sind hier. Unwirklich farbintensiv leuchten Algen am Grund, das Spiegelbild der Bäume zittert leicht, wird aufgerauht, wenn die Wasser dem Wellenschlag des Sees entgegenfließen. Ein Schwan zieht seine Kreise wie in einem romantischen Märchen. Die Gaststätte erinnert an die Yugo-Architektur der siebziger Jahre – ein Versuch, an die Bauhaustradition der zwanziger Jahre anzuknüpfen. Die Kioske mit ihrem Kitsch und Nippes stehen da wie Wahrzeichen der Notstandsökonomie der Gegenwart. Der Hotelkomplex St. Naum umschließt das berühmte Kloster, erbaut im 10. Jahrhundert, dann zerstört und im 16./ 17. Jahrhundert wieder aufgebaut. Es zieht noch immer viele an.
Nach der Probe eines der hochprozentigen Klosterschnäpse winkt der Mönch hinein und führt zu Ikonen von seltener Schönheit – farbensatt und vollendet komponiert. In Sveti Naum kommt vieles zusammen: Man kann sich in der stillen Naturschönheit der Quellen vom Trubel der Badestelle erholen; in den nahen Bergen entspannt zur Verdauung nach einem reichlichen Fischmahl wandern; im Kloster verbindet sich die Geschichte des Ortes mit Meisterwerken der Ikonenmalerei.
Kein Wunder, daß sich an diesem Ort – gefördert durch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) – Tourismusexperten aus Albanien, Griechenland und Mazedonien regelmäßig treffen, um das gemeinsame Grenzland im Gebiet der Prespa- und des Ohridsees zu entwickeln und attraktiv zu gestalten.
Von den Arbeitssälen aus sieht man über den See die dreißig Kilometer entfernte Silhouette von Ohrid mit der kleinen orthodoxen Kirche Hl. Joran Bogoslov-Kameo auf dem Felsvorsprung, die dem bislang berühmtesten Film des Landes, Vor dem Regen von Milcho Manchecski, als Kulisse diente. In ihm wird gezeigt, wie der gegenseitige Haß der Volksgruppen immer wieder zur Selbstzerstörungen führte.
Heutzutage wird jedes Jahr im August auf der Strecke zwischen Sveti Naum und Ohrid ein internationales Marathonschwimmen ausgetragen, eine Veranstaltung, die Gäste anlocken und die durch drei Staatsgrenzen getrennten Menschen rund um den Ohrid- und des Prespasees verbinden soll.
Die Grenze ist offen. Der Wind krönt die Wellen mit Gischt, in der Mitte des Sees läßt die Sonne das Gewässer märchenhaft tintenblau leuchten, die Uferstraße endet nicht mehr hinter Sveti Naum. Naum Gegprifti, der bei der Sitzung der GTZ als albanischer Vertreter mitwirkte, nimmt mich in seinem Auto mit in seine Heimatstadt Podradec. Der Grenzübergang wirkt verlassen – bis auf einige Autos, die so voll mit Paprika, Äpfeln oder anderem Obst und Gemüse beladen sind, daß sich die Fahrer kaum noch bewegen können. Obst und Gemüse aus Mazedonien werden auf albanischen Märkten gern verkauft.
Die Grenzer freuen sich über Besucher, begrüßen jeden Ankömmling mit Handschlag. Auf die Frage, wieviel Touristen kommen, weicht Naum Gegprifti aus, zeigt auf eine stilvolle Villenanlage neben den bekannten schildkrötenartigen albanischen Bunkern. »Hier haben Hoxha, der kommunistische Diktator, und andere Funktionäre Ferien gemacht. Jetzt können Sie kommen!«
Wenn die Wolkendecke den Blick nicht versperrt, bietet sich auf dem über 2000 Meter hohen Berg Galicica ein seltener Anblick, auf der einen Seite liegt der Ohrid-, auf der anderen der Prespasee. Wer auf die Berge und Städtchen rund um die Seen sieht, kann von Europa träumen.