von Klaus Hart, Rio de Janeiro
Staatschef Luis Inacio Lula da Silva ist durch Korruptionsskandale stark angeschlagen. Wie oft im Tropenlande hat die Krise auch komische, operettenhafte Züge: Ein Emissär von Lulas Arbeiterpartei wird auf dem Flughafen mit einhunderttausend Dollar in der Unterhose erwischt … Die Kirche sowie Führer von Sozialbewegungen und Politikexperten hatten immer wieder angemerkt, daß der Lula-Regierung ihre engen Beziehungen mit zwielichtigen Rechtsparteien und Diktaturaktivisten zum Verhängnis werden könnten.
Die Voraussagen scheinen sich nun zu bewahrheiten. Daß die Lula-Regierung ihre bisher schwerste politische Krise durchmacht, kommt nicht überraschend. Lula und die Führungsspitze seiner Arbeiterpartei hatten bereits vor dem Amtsantritt 2003 wohlbegründete Anklagen wegen Korruption und anderen betrügerischen Machenschaften öffentlich stets als »Bobagens«, Dummheiten, abgetan und sämtliche Skandale geschickt unter den Teppich gekehrt. Selbst Lulas Vize und Verteidigungsminister, der Milliardär und Großunternehmer Jose Alencar von der rechtsgerichteten Partei Partido Liberal, wurde schwer belastet. Doch nach einer extrem populistischen und enorm teuren Wahlkampagne im Stile Nordamerikas galt Lula als Hoffnungsträger der Nation, als eherne Säule der Ethik. Kaum ein Amtsvorgänger genoß so viel Glaubwürdigkeit unter den rund 185 Millionen Brasilianern.
Auch die jüngsten Korruptionsvorwürfe tat Lula als »Bobagens« ab, niemand im Lande habe mehr moralische Autorität im Kampfe gegen die Korruption als er selbst. Doch diesmal erntete der Staatschef darauf nur Hohngelächter – vom Mann auf der Straße, von der Kirche, den sozialen Bewegungen, den politischen Kommentatoren. Hohnlachen auch über Lob-und-Hudel-Äußerungen des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler über den einstigen Arbeiterführer. Von allen Seiten muß sich Lula anhören: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.
Ausgerechnet einer seiner neuen Freunde, eine der übelsten und zwielichtigsten Figuren der brasilianischen Politik, Roberto Jefferson, Chef der Rechtspartei PTB, bringt Lula, seine Regierung und die Führung der Arbeiterpartei mit Enthüllungen ins Wanken. Kern der Vorwürfe Jeffersons: Lulas Chefstrategen installierten ein raffiniertes System des Stimmenkaufs. Über achtzig Abgeordnete von mit Lula verbündeten rechtskonservativen Parteien erhielten monatlich Millionensummen in bar, damit sie für Gesetzesvorlagen der Regierung votierten. Andere Abgeordnete wurden mit Schmiergeldern veranlaßt, zur Arbeiterpartei PT oder in andere Parteien des Regierungsbündnisses überzuwechseln. Und aus großen Staatsbetrieben wurden laut Jefferson Unsummen für Lulas PT und weitere Regierungsparteien abgezweigt, meist zur persönlichen Bereicherung. Das hochangesehene PT-Führungsmitglied Celso Daniel, das bereits vor Lulas Wahl solche krummen Touren aufdecken wollte, sei deshalb sogar ermordet worden. Drei Minister, fünf Abgeordnete und ein Senator haben gegenüber Brasiliens Nachrichtenmagazin Veja die Schmiergeldzahlungen an die über achtzig Politiker bestätigt – nun sollen parlamentarische Untersuchungsausschüsse die Beweise erbringen. Beinahe täglich muß Lula schwerbelastete Genossen sicherheitshalber entlassen – sogar seine rechte Hand, den Chefminister des Zivilkabinetts, Jose Dirceu, aber auch Parteichef Josè Genoino. Die Dreckarbeit, nämlich die Übergabe der Bestechungssummen, wurde von einer Werbefirma erledigt, deren Mitbesitzer ein enger Verwandter von Lulas Vize Jose Alencar ist. Auch Marta Suplicy, die Vizepräsidentin von Lulas Arbeiterpartei, soll sich während ihrer desaströsen Amtszeit als Präfektin São Paulos die Gefolgschaft von Abgeordneten mit Bestechungsgeldern erkauft haben.
Ein Blick auf Brasiliens jüngere Geschichte zeigt – alles nichts Neues, in einem der korruptesten Länder des Erdballs gehören derartige Skandale seit jeher zum politischen und sonstigen Alltag. Schriftsteller, Intellektuelle weisen immer wieder auf die tiefverwurzelte »Kultur der Unehrlichkeit«, von deren Dimensionen sich in Europa kaum jemand einen Begriff macht. Nur war vielen bisher entgangen, daß in der einstmals linksprogressiven Arbeiterpartei längst der rechte, neoliberale Flügel die Oberhand gewonnen hatte und nahezu sämtliche Führungsposten besetzte, sich sogar mit rechtsextremen Oligarchen anfreundete. Kurioserweise meldeten auch deutsche Kommerzmedien immer wieder, Lula sei ein Progressiver, ein Linker, ein Sozialist.
Brasiliens soziale Bewegungen haben unterdessen ein Manifest veröffentlicht, das die Lula-Regierung auffordert, konservative und korrupte Minister zu entlassen, die neoliberale Wirtschaftspolitik aufzugeben, die in der Verfassung definierten sozialen Rechte, darunter auf Arbeit, Wohnung oder Bildung, endlich zu verwirklichen.
Klaus Hart: Unter dem Zuckerhut – Brasilianische Abgründe, Picus-Verlag Wien, 2. Auflage 2005, 168 Seiten, 14,60 Euro; Elisabeth Blum, Peter Neitzke (Hg.): Favela Metropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo, Birkhäuser-Verlag für Architektur Basel – Boston – Berlin 2004, 175 Seiten, 23 Euro
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