Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 1. August 2005, Heft 16

Schöner Reisen

von Elke Sadzinski

Ganz offenbar bist du fürs Reisen nicht gemacht – so laß es doch endlich!« rieten die Freunde, als Staller nach verbrachtem Urlaub vom neuesten Ungemach berichtete. Noch wollte er sich ihrer schlichten Logik nicht anschließen, sie schien ihm in ihrer Konsequenz zu grausam. Jedoch war nicht zu leugnen, daß seine Reiseerlebnisse mehr Heiterkeit für die Freunde denn Erbauung für Staller brachten.
Begonnen hatte alles in Portugal. Staller war im ersten Urlaub mit einer neuen Liebe. Relativ bald war klar, es würde kein weiterer folgen. Und das lag nicht nur am Wetter. Bei der Ankunft herrschte eitel Sonnenschein, es war Oktober – in Portugal hatte es seit Mai nicht geregnet. Am nächsten Tag zogen Wolken auf, was das Paar erst beunruhigte, als sintflutartige Regenfälle einsetzten. Einige Zeit ging drauf, ein neues Quartier zu suchen, weil die von Staller gebuchte Internet-Unterkunft sich als unerträgliche Beton-Bettenburg erwies. Das nächste Hotel war klein und einsam gelegen, die Wetterlage blieb unverändert … Die restliche Urlaubszeit verbrachte man im gemieteten Auto, fuhr durchs verregnete Land, traf allerorten auf gutgelaunte Portugiesen, die sich am Regen erfreuten. Im einsamen Quartier sank das Liebesbarometer, nicht zuletzt durch einsetzende Zänkereien über Ameisen-Heerscharen, die in der trockenen Behausung Unterschlupf suchten. Am Tag des Rückflugs brach die Sonne durch.
Staller war voller Optimismus: Der nächste Urlaub konnte nur besser werden.
Kreta. Stallers liebstes Reiseziel seit langem. Wieder solo, fand er es herrlich, den Urlaub nach eigenem Gusto verbringen zu können. Kein Generve wegen unterschiedlicher Ambitionen, nichts mußte abgestimmt werden – alles in allem: herrliche Aussichten! Vor allem freute sich Staller auf Bewegung. So schritt er am ersten Tag hurtig aus, kraxelte bei strahlendem Sonnenschein seine Kilometer durchs Gebirge, brachte auch einige Zeit am Strand zu – und fiel am Abend schwitzend und durstig ins Quartier ein. Die Dusche, die ihm zuerst ins Blickfeld geriet, hatte größere Anziehungskraft als die Wasserflasche. Keine Minute später kam der Durst zurück. Also setzte er an, die Wasserflasche ins Duschglück einzubinden – als er nassen Fußes ausrutschte und rücklings torpedogleich aus dem Bad heraus und quer durch den Raum schoß. Die Zimmertür bremste Stallers Schwung abrupt. »Krks« machte es im mittleren Zeh, als er anschlug. Nach qualvoller Nacht besah sich Staller den Schaden im rötlichen Morgenlicht. Der Zeh war tiefdunkel und auf das Format eines Wienerwürstchen angeschwollen. Dennoch gelang es, Zeh samt Fuß in den Bergsteigschuh zu würgen, was dauerte, Staller aber immerhin ermöglichte, den Urlaub fortzusetzen. Rasch war eine Technik entwickelt, mittels derer er laufen konnte, ohne den Fuß abrollen zu müssen. Den Blick unverwandt auf felsigen Untergrund geheftet, ging es den Weg durch die Klippen zum Strand, als eine Felsnase ihn stoppte. Kopfwunden, selbst kleinere, bluten beeindruckend. Fluchend wischte sich Staller rote Schleier aus den Augen, schlang notdürftig ein Halstuch um den Kopf und kroch noch langsamer vorwärts.
Am Strand angekommen, erregte sein Aussehen einiges Aufsehen. Sonne und Salzwasser sorgten dafür, daß alles glimpflich zuheilte. Allerdings verabschiedete sich die bis dahin vorherrschende Hochwetterlage, es begann zu regnen. Die Kreter waren entzückt über das kostbare Naß. Woher kannte Staller das? Als er mit der Grippe im Gepäck abreiste, begann sich die Sonne durchzusetzen. Er hoffte auf den nächsten Urlaub.
Ägypten. Noch immer solo, zog es Staller über den Jahreswechsel zu archäologischen Kostbarkeiten. Der Reiseveranstalter hatte ihm eine individuelle Reise nach seinen Wünschen zusammengestellt. Sie begann zunächst wie ein Witz: Staller war da, aber niemand kam hin, ihn vom Flughafen abzuholen. Staller nahm die Herausforderung an, irrte mit mehreren Taxis durchs nächtliche Kairo und erreichte schließlich sein Hotel. Als er eintraf, wurden ihm schöne Grüße vom Reiseveranstalter übermittelt. Staller lächelte finster. Auch das Wetter hatte es in sich. Die Temperatur war auf lauschige 3 Grad herabgefallen, eine Heizung nicht vorhanden. Aber es gab heißes Wasser, mittels dessen er sich aufwärmen und den Rest der Nacht durchstehen konnte. Am nächsten Tag sollte es ins Kairoer Museum gehen. Staller ließ den Fotoapparat im Hotel. Welch Überraschung, als sich herausstellte, es ging zu den Pyramiden von Gizeh! Staller verbrachte einen ganzen Tag bei strahlendem Sonnenschein in atemberaubender Kulisse, hatte aber den Farbfilm vergessen. Sofort reifte sein Entschluß, am letzten Tag der Reise hierher zurückzukehren – mit Fotoapparat!
Teil II, eine Nilkreuzfahrt, brachte unvergeßliche Bilder. Sowohl die vorbeiziehenden biblischen Landschaften waren bemerkenswert, als auch der Anblick, den das Promenadendeck bot. Verzückte Frischluftfanatiker lauschten gleich Staller den Rufen der Muezzin, die über dem Nil schwebten. Bedeckten Hauptes waren alle in Skipullover und dicke Decken gehüllt – gleich einer Szenerie aus Sankt Moritz.
Teil III, der einwöchige Badeurlaub in Hurghada, änderte an der Wettersituation nichts, nur daß sich Sturm dazugesellte. Mit einer gewissen Gereiztheit reagierte Staller auf ägyptische Verwunderung, daß es Anfang Januar so kalt sei und hielt sich mehr im Badezimmer als am Strand auf. Was Wunder, daß der obligate Unfall denn auch wieder dort stattfand. Ein an die Wand applizierter Handtuchhalter, den er für fest arretiert hielt und der Halt bei einem riskanten Balanceakt bieten sollte, erwies sich als Attrappe, brach ab und brachte Staller zu Fall. Dummerweise aus beachtlicher Höhe, und zwar rücklings. Scheelen Blicks schlich Staller im 90-Grad-Winkelgang durch Hurghada und wartete auf die Heimreise. Aber nicht ohne abgelichtete Pyramiden!
Der Kairoer Reiseleiter, ein mitleidvoller Mensch, chauffierte Staller nach Gizeh.  Allerdings erst abends, zur Lasershow. Welch Glück – sie sei heute in Deutsch oder Englisch zu erleben und überhaupt viel beeindruckender als tagsüber, wenn die Sonne brennt, ließ er ihn wissen und entschwand.
Die Sphinx sah Staller stumm im Kreise mehrerer hundert Japaner sitzen, die dem spektakulären Geschehen folgten und das zu ihrer großen Freude an diesem Abend in ihrer Muttersprache geboten wurde. Auf dem letzten Film im Apparat waren noch drei Aufnahmen frei für strahlend sonnige Motive. Staller sah zum dunklen Firmament und übte sich in Demut, als der Himmel sich unversehens öffnete und die Lasershow mit einem sturzbachartigen Regenguß beendete. Am Ausgang traf er wieder auf seinen Reisebegleiter, der sich wie ein Kind über den Regen freute. Schließlich käme dies nicht all zu oft vor in Kairo und sei deshalb ein großes Glück – wie schön, daß Staller es teilen dürfe!
Noch ist sich Staller nicht sicher, wohin sein nächster Urlaub geht oder ob er nicht besser im heimischen Garten Frieden suchen sollte. Wobei: Hatte er nicht unlängst über ein Bewässerungsprojekt in Jordaniens Wüste gelesen? Bad-Unfälle ließen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, auch war Staller inzwischen Besitzer einer Digitalkamera. Er könnte Erkundigungen einziehen, möglicherweise gar behilflich sein …
Wenn alles gut ging, käme er groß raus!