von Martin Nicklaus
Auf ihrem Weg von links vorne nach hinten rechts hatte die Sonne recht unsentimental den Garten ausgeleuchtet. Inzwischen ist sie hinter der kleinen Laube, auf deren Treppe ich sitze, angekommen. Die Klinkerstufen haben die Wärme gespeichert. Angenehm am Hintern, schlecht für das Bier.
Auf der Wiese schwenkt der Sprenger majestätisch seine wie ein Pfauenrad aufgefächerten Strahlen. Im richtigen Winkel zur Sonne schimmert ein Regenbogen. Auf der Treppe sitzt man im falschen. Dafür läßt sich ein Star beregnen. Etwas abseits, auf dem kurz zuvor beregneten Rasenstück, springen zwei Elstern, sie werden von einer Krähe gestört und ergreifen die Flucht Richtung Tanne. Als kleine Bengels sind wir dort wie junge Katzen geklettert. Und wie diese fanden wir gelegentlich den Rückweg nicht. Als Feuerwehr kam der Vater hinterher geklettert und lotste uns runter: »Hand hier hin, halt dich da fest, hör auf zu jammern, Fuß dorthin, jetzt langsam, keine Angst, bin ja da.« Mutter saß derweil Kartoffeln schälend und Bohnen schnippelnd auf der Treppe.
Draußen gehen Leute vorbei, gucken, was da im Garten los ist. Nichts, nur ein Mann auf der Treppe. Allemal spannender war Das Mädchen auf der Treppe, ein alter Schimanski-Tatort mit der Musik von Tangerine Dream. Wäre doch mal ein Thema für die Stern-Rubrik Was macht eigentlich …?: Was wurde aus dem Bandleader Edgar Froese? Eine andere Frage: Was macht eigentlich der Stern?
Die Sterne über dem Garten sind verblaßt. Früher, als noch alles besser war, ermöglichte die Dunkelheit erhabene Einblicke in die glanzvolle Welt der himmlischen Stars. Die Unterweisungen von Onkels und Tanten und Bekannten ließen nie lange auf sich warten: »Also dort ist Kassiopeia, das Himmels-W. Man sieht ganz deutlich … oder ne, warte mal, jedenfalls ist dort«, versuchte sich der Hobbyastrologe in sichere Gefilde zu bringen, »der große Wagen, und wenn du die Deichsel siebenmal oder fünfmal oder … jedenfalls verlängerst, kommst du zum Nordpolarstern. Warte mal, nicht die Deichsel, es ist die Hinterachse.« »Wird der Wagen geschoben oder gezogen?« »?« »Na damit ich weiß, welche die Hinterachse ist.« »Versuchen wir es mal mit der ohne Deichsel.« »Nach oben oder nach unten?« »Nach oben, und ich glaube du mußt sie … also … ach guck mal da, ein Glühwürmchen.«
Heute machen Halogenstrahler der Kategorie Flakscheinwerfer eine drittklassige, aber niegelnagelneue Ortserschließungsstraße zum Hochsicherheitstrakt und verdunkeln mit ihrer orangen Helligkeit den Sternenhimmel. Die Himmelsforscher ziehen sich in die chilenischen Anden zurück, dort sind sie »unbehelligt«. Für die Gemeinderegierung war diese technisch und finanziell überdimensionierte, dafür räumlich unterdimensionierte (weil zu schmale) Straße eine willkommene Gelegenheit zur Selbstverwirklichung gewesen. Zumal die Anlieger alles selber zu zahlen hatten.
Meine damalige Lieblingsallmachtsphantasie: Ich, schwer bewaffnet, habe mich in der Laube verschanzt und biete den mit den Sicherheitskräften anrückenden Grundstücksräubern aus dem Westen die Stirn. Es hatte sich folgender Wortwechsel abzuspielen: »Kommen Sie sofort da raus.« »Kommt doch rein, wenn ihr euch traut, ihr Dreckschweine.« Gefolgt von einer Ladung Schrott durchs geschlossene Fenster. Als Showdown dachte ich an die Szene aus dem Western Butch Cassidy and the Sundance Kid, der in Deutschland unter dem etwas vereinfachenden Titel Zwei Banditen lief. Ich stürme aus dem Haus und draußen die ganze bolivianische Armee.
Die einzige Armee, die dieser Garten in der Realität je gesehen hat, ist eine aus Ameisen, die vor der Treppe dabei ist, die Terrasse zu unterhöhlen. Sie untergraben das, was ihnen dann später selbst auf den Kopf fällt. Auch nicht gerade clever. Ein altes Hausmittel gegen Ameisen ist Backpulver. Aber soviel Backpulver gibt’s gar nicht. Außerdem könnten die Tiere sich wehren, wie in den Film Phase IV, wo am Ende die Ameisen das Kommando übernehmen und nur ein Pärchen überlebt: als Studienobjekt für die Ameisen.
Zwielicht bricht an. Die Arbeitsgeräusche vereinzeln sich, Richtung und Verursacher sind jetzt klar auszumachen. Immer die gleichen Pappenheimer. Einer hat im Laufe der Jahre soviel Baumaterial in sein kleines Grundstück gekarrt, das die Nachbarn dort unterirdische Katakomben in den Ausmaßen der römischen vermuten. Heute abend gibt er der Gemeinde noch ein Kleines Konzert für Kreissäge und Hartholz. Die melancholische Weise eines gequälten Instruments singt von der Vergeblichkeit aller Mühen. »Es gibt nichts zu verbessern, nichts was noch besser wär, außer dir und jetzt und dem Tag am Meer«, singen die Fantastischen Vier. Mein Meer ist die Treppe.
Es scheint der Augenblick gekommen: »Verweile doch, du bist …« Doch das Bier ist alle.
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