von Gerd Kaiser
Im Juni war sie bereits in Hildburghausen und in Suhl zu sehen, sie wird noch in weiteren Städten Thüringens gezeigt werden: die Ausstellung über die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen. Diese Gemeinschaftsausstellung der Landeszentrale für politische Bildung, der Thüringer Polizei, des Thüringischen Hauptstaatsarchivs sowie der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora bietet viele neue Details, sie wird ergänzt und vertieft durch zwei Halbbände zum gleichen Thema, die Marlis Gräfe, Bernhard Post und Andreas Schneider – Lehrerin, Archivar und Polizist – im Auftrag der Landeszentrale herausgegeben haben.
Im Mai 1935 ließ der Thüringische Generalstaatsanwalt den Untersuchungsrichter des Volksgerichtshofes wissen, daß Erich Thieme, »unser lieber Thieme«, der alle Mitglieder und Kuriere der illegalen KPD an die Gestapo verraten hatte, »ab und zu eine Extraportion Wurst und Semmeln erhalten« hat. »Dadurch ist er bei guter Laune gehalten worden. Denn nur durch seine Aussagen war es möglich, mit der illegalen KPD in Thüringen so aufzuräumen …« Einige der von ihm denunzierten Antifaschisten wurden erschlagen, andere wie Walter Molle, einer der denunzierten KPD-Kuriere, durchlitten Gestapohaft und anschließend die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Majdanek. Der »liebe Thieme« hingegen beschloß seinen Lebensabend im Schoße der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Warum der Kaninchenzüchterverein Stadtroda und Umgebung von der Gestapo (gez. Ortlepp) am 24. September 1935 »mit sofortiger Wirkung verboten und aufgelöst« wurde, erfährt der Wißbegierige leider nicht. Dafür jedoch an anderer Stelle von der durch die Gestapo im gleichen Jahr festgestellten »Lauheit« Erfurter Kleingärtner, die seit Jahren einen »Juden« als Vorsitzenden gewählt hatten. Im September 1939 wurden durch die Gestapo 202 bei jüdischen Familien »eingezogene« Rundfunkgeräte »an Volksdeutsche … und an die NSV« verteilt.
Die Lageberichte der Gestapo geben nicht nur Verhaftungen wieder – zum Beispiel die des Tischlers Bernhard Kleffel aus Dietzhausen, der 1937 gegenüber seinen Arbeitskollegen »die nationalsozialistischen Führer« als Kriegshetzer bezeichnet hatte –, sondern auch politische Witze. Der Stahlhelmer Erich Kaiser »musste in Schutzhaft genommen werden. Seine Äußerung: Früher hatten wir einen Kaiser von Gottes Gnaden, heute haben wir ein Arschloch aus Berchtesgaden«. Auch Gestapostatistik wird dokumentiert. So verhafteten 1936 die Gestapostellen Erfurt und Weimar wegen aktiver antifaschistischer Tätigkeit 311 Antifaschisten der KPD und 33 der SPD.
Das Wirken einiger antifaschistischer Widerstandsnetze in Thüringen in den Kriegsjahren, darunter der Suhler Widerstandsgruppen (ihnen gehörten mehr als zweihundert Frauen und Männer an, die 1943/44 verhaftet und zum Teil vor Kriegsende abgeurteilt und hingerichtet wurden) dokumentieren die Organigramme und weitere Gestapomaterialien einschließlich des Berichts des Oberstaatsanwalts Sesselmann in Weimar (dessen Namen von den Herausgebern nicht genannt wird) vom 18. Januar 1945. Waren doch am 5. Januar acht Männer und eine Frau im Landgerichtsgefängnis Weimar aus Suhl und Sonneberg laut Sesselmann im »20-Sekunden-Takt« geköpft worden. Sesselmann: »Solche Massenexekutionen stellen erheblich Ansprüche an die Wendigkeit … aller beteiligten Beamten.«
Unter den an diesem Tag Ermordeten befand sich auch Ernst König, Arbeiter im Suhler Simsonwerk. In diesem Rüstungsbetrieb mit einigen tausend Beschäftigten, die Hälfte von ihnen in den letzten Kriegsjahren Zwangsarbeiter, wirkten mehrere Widerstandsgruppen. Eine von ihnen wurde 1942/43 vom sowjetischen Zwangsarbeiter Sulejma Sulejmanow geleitet, der Verbindungen zu italienischen und »kommunistisch gesinnten französischen Arbeitern« im Werk geknüpft hatte. Mindestens fünfzehn ausländische Arbeiter wurden von der Gestapo verhaftet, »mit weiteren Festnahmen … ist zu rechnen.« Das Schicksal dieser Männer im Widerstand harrt noch der Erforschung.
Wegen »Heimtücke« geriet 1944 der Holländer Sake Dirk van der Beek in die Mühlen von Gestapo und NS-Justiz. Er habe sich »im reichsfeindlichen Sinne« geäußert. Dafür wurde er – gemeinsam mit 149 weiteren Nazigegnern – von einem Exekutionskommando der Weimarer Gestapo hinterrücks in dem Webicht genannten Waldstück bei Weimar erschossen. Die Ermordeten, zahlreiche von ihnen noch nicht einmal verurteilt, wurden in Bombentrichtern verscharrt; nur wenige von ihnen konnten im Sommer 1945 identifiziert werden. Dieser gesamte Vorgang der Erschießungen im Webicht Anfang April 1945 ist im zweiten Halbband ausführlich dokumentiert, die Mordschützen sind benannt.
Mit biographischen Angaben über einige der annähernd fünfhundert Gestapo-Mitarbeiter in Thüringen schließt die Dokumentation. Ihnen zu entnehmen ist, daß zum Beispiel Otto Dietrich (1905-1965) unter anderem in Lettland an der Ermordung von 150 bis 200 Juden teilnahm; ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde jedoch durch die Justiz der BRD eingestellt. Friedrich Fischer (Jahrgang 1905), unter anderem Leiter der Exekutive in der Staatspolizeistelle Weimar, wurde in Sandbostel (bei Bremen) »entnazifiziert« und versah ab 1955 kriminalpolizeilichen Dienst, erst in Dinslaken, später in Wuppertal. 1960 wurde er befördert. Karl Gehb (Jahrgang 1901), unter anderem SS-Hauptsturmführer und Mitarbeiter im Reichssicherheitshauptamt, fand nach dem Krieg eine Anstellung bei der Landesverwaltung in Augsburg. Hubert Wilhelm Leclaire (Jahrgang 1906), in der Gestapoabteilung des KZ Buchenwald tätig gewesen, war ab 1. Oktober 1954 der Kreispolizeibehörde Düsseldorf zu Diensten. Walter Ortlepp (Jahrgang 1900), der ab 1933 das Geheime Staatspolizeiamt in Thüringen aufbaute (seit 1923 Mitglied der Hitlerpartei und seit 1931 Angehöriger der SS, in der er zum Brigadeführer aufstieg), wurden 1960 die »wohlerworbenen« Beamtenrechte zugestanden.
Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933-1945, Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung, Erfurt 2005 (Quellen zur Geschichte Thüringens, Bände 24/I und II)
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