Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 18. Juli 2005, Heft 15

Schlagwörter

von Wolfgang Sabath

Der Begriff Schlagwort ist zweifelsohne lädiert. Vor allem auch, weil sie dazu verführen, vom – zugegeben oft mühseligen – Differenzieren zu lassen. Her mit dem Schlagwort, und schon ist das disputierende Gegenüber (scheinbar) mattgesetzt. Wir können derlei Sonntagabend für Sonntagabend im Fernsehen erleben. Doch wir täten dem guten alten und bewährten Schlagwort unrecht, wenn wir seine positive Rolle unterschlügen: Der Gebrauch von Schlagworten macht uns auch erkennbar, wir erkennen einander und wissen uns zum Beispiel politisch zu »verorten« – an unseren Schlagworten sollt ihr uns erkennen.
Es gibt Schlagworte, die sind so alt, daß wir ihre Herkunft oder ihren ursprünglichen Sinn oft nicht mehr kennen beziehungsweise erkennen. Auch das mag für die Historiker Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker Motiv gewesen sein, ein Kleines Lexikon historischer Schlagwörter herauszugeben. Dreiundsechzig Autoren – auch sie vorwiegend Historiker – unterzogen sich der Mühe, die Herkunft und Genesis von 192 Schlagworten zu erkunden. Es ist ein oft geradezu spannendes und auch überraschendes Buch geworden. Überraschend, weil wir manchem Schlagwortverursacher manches Wort nicht Schlagwort nicht zugetraut hätten. Gerd Kaiser beispielsweise, auch Blättchen-Lesern als Autor vertraut, fand heraus, daß der große Demokrat Johann Georg Forster 1784 »die Polen als Schweine von Haus aus« bezeichnet habe. Gute sechs Jahrzehnte später echote – doch von dem war anderes nicht zu erwarten, wenngleich die DDR auf ihrer Suche nach nationaler Identität auch ihm zeitweilig Kränze flocht – Ernst Moritz Arndt: »Die Polen und überhaupt der ganze slawische Stamm sind geringhaltiger als die Deutschen.«
Indes: So einen Satz, den sich offenbar der Verlag aus Werbegründen für den Rücktitel hat einfallen lassen, dürfen wir getrost vergessen: »Erstes Lexikon über Worte, die die Welt bewegen.« Hamses nich ne Nummer kleiner? Ob die »Roten Socken« und die »Marode Wirtschaft« die »Welt bewegen«, oder ob das auf die Losung aus Alt-BRD-Zeiten »Keine Experimente« zutrifft, darf doch nun wahrlich bezweifelt werden. Vielleicht liegt es in der Natur der Sache und ist folglich kaum auszuschließen: So ungleichgewichtig die 192 Schlagworte an sich sind, so ungleich fallen auch die Texte der »ungleichen« Autoren aus. Die Herausgeber ließen ihnen offensichtlich viel Spielraum und hatten (außer der Manuskriptlänge) kein strenges Gerüst vorgegeben, das den Aufbau der Texte bestimmte. Jeder durfte, wie er wollte und wie er konnte.
Die Autoren sind vorwiegend DDR-Historiker, zumeist ehemalige Hochschullehrer. Das ist vielen Texten anzumerken, im Positiven wie im Negativen. Zu letzterem gehört für mich, daß es etlichen Autoren nicht gelingt, von ihrem nervenden pädagogischen Impetus zu lassen und dem Zuhörer (respektive Leser) mal ganz einfach zu vertrauen und auf seine »Mündigkeit« zu setzen. Insbesondere die Käufer und Leser dieses Buches benötigen keine politisch aufgezäumte Adjektivitis, die brauchen keinen »verbrecherischen Krieg«, auch keinen »verbrecherischen Faschismus« und dergleichen mehr. Sie wissen nämlich Bescheid. Was sie nicht wissen, ist die Herkunft vieler Schlagworte. Darum kaufen sie dieses Buch. Trotz seiner Mängelchen, die letztlich marginal sind.

Kurt Pätzold, Manfred Weißbecker (Hg.): Kleines Lexikon historischer Schlagwörter, Militzke Verlag Leipzig 2005, 336 Seiten, 14,90 Euro