von Gerd Kaiser
Die Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen e. V. erhielt unlängst eine Antwort von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Anlaß war ein im Tone kritischer Solidarität geschriebener Brief der Gesellschaft, in dem die Stiftung angeregt worden war, einen Fehler im Faltblatt zur Geschichte des ehemaligen KZs Sachsenhausen zu korrigieren. In der alten wie neuen Auflage des Faltblatts heißt es über Sachsenhausen unter anderem: »Am 22. und 23. April 1945 wurden etwa 3000 im Lager zurückgebliebene Kranke von russischen und polnischen Einheiten der Roten Armee befreit.«
Dieser Satz stimmt in zweifacher Hinsicht nicht. Erstens gab es keine »russische Einheiten« der Roten Armee, denn die war nicht nach ethnischen Gesichtspunkten organisiert. Zweitens handelte es sich bei den an der Befreiung Sachsenhausens beteiligten Polen nicht um »polnische Einheiten der Roten Armee«. Richtig ist vielmehr, daß an der deutsch-sowjetischen Front Einheiten der I. Polnischen Armee und daß polnische Verbände in Westeuropa beispielsweise unter den Oberbefehlshabern Eisenhower oder Montgomery kämpften; und zwar – dort wie in Osteuropa – als eigenständige Verbände in den Streitkräften der Antihitlerkoalition.
Professor Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung, verwies in seiner Antwort darauf, daß »die von Ihnen meines Erachtens zu Recht kritisierte Aussage im Prospekt der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen« dem damaligen Forschungsstand und außerdem einer Sprachregelung« zum 50. Jahrestag der Befreiung geschuldet sei. Eine jüngere und differenziertere Darstellung könne dem Band Befreiung entnommen werden.
Eine Sprachregelung; so weit, so schlecht, eine differenziertere Darstellung, so weit, so gut … Vor allem wenn es um die gesamte deutsch-polnische Beziehungsgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen geht, eine Geschichte, die seit Jahrhunderten andauert und von der auch im jüngsten Jahrbuch INTER FINITIMOS die Rede ist. Herausgeber der »vom Auswärtigen Amt geförderte(n)« Publikation sind neben weniger bekannten polnischen und deutschen Historikern eine Deutsch-Polnische Gesellschaft. Bundesverband e. V. Der interessierte Leser erfährt Neues. Jedoch ist, wie wir wissen, nicht alles Neue gut und nicht alles Gute neu.
Die Forschungen, über die in diesem Buch berichtet wird, sind – mal mehr, mal weniger, mal offen, mal verdeckt – politisch intentiert oder auch instrumentalisiert worden. Das betrifft beispielsweise eines der beiden Brennpunktthemen des Jahrbuchs, den Warschauer Aufstand. Auch die Teilnahme des Bundeskanzlers an den Feierlichkeiten (Schröder verwechselte übrigens im Vorfeld der Gedenkveranstaltung den Warschauer Aufstand von 1944 mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943) und die zahlreichen Publikationen über den Warschauer Aufstand veranschaulichen die Wechselwirkungen zwischen Politik und historischer Forschung. In der Sache bietet das Jahrbuch nichts Neues, es ist eher eine Art publizistischer Nachwäsche.
Ähnliches ist auch über das zweite Brennpunktthema zu sagen: die Kollaboration in Polen. Es wird vor allem die heftige und kontroverse innerpolnische Debatte um eine Studie Anetta Rybickas reflektiert. In ihr geht es um die Rolle des Instituts für Deutsche Ostarbeit in Krakau zwischen 1939 und 1945. In die Arbeit dieser Okkupationseinrichtung waren auch polnische Wissenschaftler einbezogen waren. Allerdings steht mit dem 2003 in Göttingen erschienenen Sammelband Formen der »Kollaboration« im östlichen Europa 1939-1945 ein Forschungsergebnis zur Verfügung, das sich nicht allein auf Polen kapriziert, ein Land, in dem es (im Unterschied zu anderen Opfern deutscher Aggressionspolitik einschließlich Frankreich) eben keine Marionettenregierung gegeben hatte …
Neue Informationen im vorliegenden Band liefern allerdings beispielsweise die knappen Darstellungen von Klaus Ziemer, Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, und von Edmund Dmitrów, Mitarbeiter des Berliner Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Während Klaus Ziemer über künftige Forschungsrichtungen referiert, steht bei Edmund Dmitrów das Wirken der PAN-Dependance bei polnisch-deutschen Wissenschaftlerkontakten im Mittelpunkt. Die PAN ist eine Forschungsinstitution mit langer Tradition und nationalem Rang, für die in der auf provinzielle Zersplitterung ausgerichteten Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik eine Entsprechung fehlt.
In Berlin werden allerdings alle wesentlichen Wissenschaftsdisziplinen betreut, so daß die Geschichtswissenschaft nur eine von vielen ist, die sich hier artikulieren können. Beide Einrichtungen, sowohl das deutsche Institut in Warschau als auch die polnische Dependance in Berlin, konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf die Zeitgeschichte beziehungsweise sehen ihre Arbeit im politischen Licht der EU. Das Wissenschaftliche Zentrum der PAN hat sich 2005 nicht zuletzt dem Thema »60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs« zugewandt.
Beide Einrichtungen wirken sowohl bei Forschungen zu neuer oder alter Geschichte mehr oder weniger offen mit politischen Gremien ihres jeweiligen Landes zusammen, und beide werden aus politischen Quellen und mit politischen Zielstellungen finanziert. Dennoch ist nicht nachvollziehbar, was die Herausgeber bewogen haben mag, ein aus dem Kehricht des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zusammengeklaubtes Material über Ein Fußball-Länderspiel und seine Folgen (zum Spiel Polen-BRD im Oktober 1971) der Rubrik »Essay« zuzuordnen. Handelt es sich doch beim Jahrbuch um eine Publikation mit wissenschaftlichem Anspruch und nicht um den Ableger eines Boulevardblattes.
INTER FINITIMOS. Jahrbuch zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. Neue Folge 2/2004, fibre Verlag Osnabrück, 241 Seiten, 16 Euro
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