von Andreas Trunschke
Sicher, es gibt sie noch, die kleinen Unterschiede zwischen den Parteien. Während Merkel sich Busch jun. im Irakkrieg andiente, beteiligte sich Schröder an diesem Krieg »nur« mit der Gewährung von Überflugrechten für die amerikanischen Bomber. Während Merkel und Co. das Gesundheitswesen vollständig privatisieren wollen, auf das jeder seiner Gesundheit eigener Schmied werde, reden Schröder und Fischer gelegentlich sonntags noch über eine Bürgerversicherung. Die einen wollen wieder Atomkraft, die anderen ein wenig die Solarwirtschaft.
Aber reichen diese Differenzen tatsächlich aus, um über zwei gegensätzliche Lager zu sprechen? Oder handelt es sich nicht vielmehr um Varianten innerhalb des einen neoliberalen Lagers? Ein Indiz liefert das Wählerverhalten. Der gute Wähler wechselt nicht so schnell die Fronten. Haben die etwa zehn Prozent der Wähler, die sich von der SPD abgewendet haben, das linke Lager verlassen, oder sind sie lediglich von der SPD- zur CDU-Variante des neoliberalen Zeitgeistes gewechselt, während andere resigniert ganz zu Hause geblieben sind? Jedenfalls vagabundieren PDS und WASG bisher noch um die Fünf-Prozent-Hürde herum. Ein anderes Indiz ist die Leichtigkeit, mit der die SPD-Spitze eine große Koalition als letzten Rettungsanker gegen den totalen Machtverlust anpeilt. Daß das dem verkündeten Lagerkampf entgegenläuft, mag dem Chaos der Endphase der gegenwärtigen Regierung geschuldet sein.
Tatsächlich verlaufen die Grenzen zwischen den Lagern ganz anders. Im Bundestag gibt es zwei deutlich getrennte Lager. Das eine Lager wollte Hartz IV – das andere nahm an den Montagsdemonstrationen dagegen teil. Das eine will deutsche Interessen am Hindukusch verteidigen – das anderen lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Das eine verweigerte eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung, nicht ohne sich zu entblöden, den Franzosen zu empfehlen, wie sie stimmen sollen – das andere forderte Volkes Meinung wenigstens halbherzig ein. Klar auch die Trennung, wenn es um die Vermögenssteuer geht. In dem einen Lager befinden sich die beiden PDS- und einige andere versprengte sozial denkende Abgeordnete, in dem anderen der übergroße Rest. Diese Teilung ist Resultante einer in der Gesellschaft bestehenden Trennung. Auf der einen Seite die Unternehmerverbände, Lobbyisten und Teile der Gewerkschaften, auf der anderen Seite neue soziale Kräfte wie attac, aber auch Teile der Gewerkschaften und der Kirchen. Die von Müntefering und Schröder propagierte Lagerkonstellation soll offenbar nicht allein den eigenen freien Fall dämpfen, sondern dient auch als Nebelkerze, damit die tatsächlichen Lager nicht sichtbar werden. Das entspricht ganz der Tradition des Neoliberalismus, der sich als alternativlos darstellt und von vornherein seine Ideologie als Naturgesetz darbietet. Erstmals seit langem bestünde mit einer vereinten Linken unter den charismatischen Galionsfiguren Gysi und Lafontaine die Chance, das als das sichtbar zu machen, was es ist, nämlich Propaganda. Daß Alternativen wieder sichtbar werden, das ist die große Hoffnung dieser vorgezogenen Wahlen, wegen der allein Links-Wählen dieses Mal zur demokratischen Pflicht erklärt werden sollte.
Es gibt jedoch noch eine weitere Lagerkonstellation, die ebenfalls für den Ausgang der Wahlen bedeutsam sein wird. Mit Schröder zog der an der Wirtschaft orientierte Pragmatismus in die Politik ein. Angeblich gab es keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik mehr. Nach der drögen Moralisierung jeder Entscheidung in der Kohl-Zeit wurde das sogar als erfrischend empfunden.
Doch jetzt regt sich zunehmend Unbehagen gegen diesen kalten Geist. Nicht zuletzt der Zuspruch für Johannes Paul II. machte sichtbar, wie groß inzwischen das Bedürfnis nach Werten wieder ist. Angela Merkel verspricht folgerichtig wieder eine werteorientierte Politik, und nicht einmal der Noch-Kanzler wagt, das zu denunzieren. Allenfalls mäkelt er an ihren Werten herum oder daran, wie sie diese zur Geltung bringen will, nicht mehr jedoch an der Tatsache selbst. Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums geht es natürlich um Werte. Der zentrale Orientierungspunkt der Linken ist seit jeher die Solidarität. So gerät Schröder mit seiner vorgeblich nur an Sachfragen orientierten Politik zwischen zwei an Werten orientierte Fronten. Für ihn politisch jedoch tödlich wurde, daß er seinen eigenen Anspruch des Pragmatismus nicht einlösen konnte. Seine Politik war nicht effizient, sondern über weite Strecken dilettantisch. Er hat kaum etwas anders gemacht, aber vieles schlechter. Er hat nicht nur die uralten Werte der Sozialdemokratie unmöglich, ja zum Teil lächerlich gemacht, er hat gleichzeitig den Konzern Deutschland in den Bankrott geführt. Der Basta-Kanzler gab den Ackermann, genauso arrogant, unsozial und siegessicher wie dieser, nur hat letzterer dabei für sein Unternehmen Gewinne eingefahren.
Für die Linke ergibt sich ein zweiter wichtiger Anspruch, den sie nicht allein um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der ganzen Gesellschaft einlösen muß. Sie hat nicht nur klar erkennbare Alternativen anzubieten, sondern darüber hinaus die einst von der Sozialdemokratie populär gemachten Werte wieder zum Leuchten zu bringen und der Sehnsucht nach einer solidarischen Menschheit wieder Geltung zu verschaffen. Dabei wird sie einen anderen Stil verkörpern müssen, um Verstand und Herz ansprechen zu können. Allein mit einer pragmatischen Politik Berliner Art wird es nicht getan sein, jedenfalls nicht auf Dauer.
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