von Ove Lieh
Als ich den Schalterraum betrat, bemerkte ich überrascht, daß ein Mitarbeiter den Wartenden Getränke servierte und über dem Tresen folgender Hinweis zu lesen war: »Wenn Sie bei uns länger als 5 Minuten warten müssen, während nicht alle Schalter besetzt sind, erhalten Sie bei der nächsten fälligen Gebühr 5,– Euro Rabatt!«
Nachdem ich meinen neuen Personalausweis entgegengenommen hatte, sagte die Frau hinter dem Schalter zu mir: »Wir bedanken uns für Ihren Auftrag und würden uns freuen, bald wieder für Sie tätig werden zu dürfen!« Verstört fragte ich: »Darf man denn jetzt zwei Personalausweise haben?« »Natürlich nicht«, antwortete sie, »aber wir haben ja noch viel mehr Dienstleistungen in unserem Programm wie zum Beispiel Reisepässe, Urkunden aller Art und so weiter. Wir würden Sie bei Bedarf auch gern über unser Gesamtprogramm informieren, mit unserem Hauptkatalog oder, wenn Sie mögen, auch persönlich.«
Ich bedankte mich und verließ irritiert den Raum, der tatsächlich zum Einwohnermeldeamt meiner Stadt gehörte, wie mir ein kurzer Blick auf das Türschild bestätigte.
Noch grübelnd, was hier wohl geschehen sei, wurde ich auf der Straße von zwei Polizisten angesprochen, die wissen wollten, ob ich mich eigentlich richtig sicher fühle, denn falls nicht, hätten sie ein paar tolle Angebote, um meine Sicherheit zu erhöhen, jedenfalls mindestens die gefühlte. Ohne weitere Kosten, versteht sich.
Ich begann, um meinen Verstand zu fürchten, und lehnte ihr Angebot mit der Begründung ab, ich hätte noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, und das wolle ich auch in Zukunft so halten. Sie verbargen geschickt ihre Enttäuschung und meinten nur, ich sollte mich ohne Zögern an sie wenden, falls ich meine Meinung ändern würde.
Mit Mühe erreichte ich mein Zuhause, nachdem ich noch den kürzlich verbeamteten Lehrer meines Sohnes abgewimmelt hatte, der mir unbedingt seine persönliche Hilfe für den Fall anbieten wollte, daß ich mal mit der Erziehung meines Sprößlings Probleme haben sollte. Es sei ihm schließlich nicht egal, was aus dem Jungen mal würde und auch fachliche Hilfe stehe ihm selbstverständlich ohne Aufpreis zu.
Völlig verwirrt warf ich mich zu Hause in meinen bequemen Fernsehsessel und goß unmittelbar danach einen doppelten irischen Whisky in mich. Nach dem Dritten kam in mir eine Ahnung auf, woher das völlig absurde Verhalten der Beamten rührte, die plötzlich ebenso »klebrig« wirkten wie Versicherungsvertreter. Sollten die nicht neuerdings nach Leistung bezahlt werden!? Würden die Bürger vielleicht bei der Leistungsbewertung einbezogen, schließlich wurden sie das ja bei der Bezahlung der Beamten auch!? Eigentlich waren die ja Angestellte des Bürgers und konnten sich ruhig auch ein wenig so geben.
Mit diesem Gedanken im Gehirn erwachte ich plötzlich, ich war wohl kurz eingeschlummert. Vor mir auf dem Tisch lag neben der Whiskyflasche ein Brief vom Finanzamt, das mir folgendes mitteilte: »Leider können wir Ihre Einkommensteuererklärung nicht bearbeiten, weil Sie entgegen der Erläuterung im ›Erläuterungsbogen E 146‹ das ›Formblatt A 118‹ vor das ›Formblatt A 117‹ geheftet haben. Wir senden Ihnen hiermit Ihre Unterlagen zurück und fordern Sie auf, den Fehler unverzüglich zu beheben. Wegen des grob fahrlässigen Auslösens eines von vornherein erfolglosen Verwaltungsaktes werden Sie darüber hinaus mit einem Strafgeld in Höhe von 23,75 Euro zuzüglich der Kosten für Verpackung, Versand und Kaffee (6,50 Euro) belegt. Der Gesamtbetrag ist binnen 10 Tagen auf eines der unten angegebenen Konten zu überweisen.«
Da kamen mir ernsthafte Zweifel an der Realität meiner bisherigen Erlebnisse dieses Tages, und richtig, ein Blick auf meinen Ausweis zeigte, er war noch der alte. Ich hatte alles nur geträumt! Dabei wollte ich mir doch nach Feierabend nur schnell etwas Mut für den Behördengang antrinken.
Nur, ob ich jetzt erleichtert oder enttäuscht sein sollte, wußte ich auch nach drei weiteren Doppelten noch nicht.
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